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Wie erkenne ich eine gute Klinge?

Aktualisiert: 8. Feb. 2022

"Die Klinge ist aus gefaltetem Stahl, und filigranes Gold ist in den Griff eingearbeitet. Dürfte ich mal...?" "Perfekt ausbalanciert. Die Angel hat nahezu die selbe Breite wie die Klinge."

William Turner präsentiert dem Gouverneur seinen neuen Hofdegen. Der schaut sich die Klinge von allen Seiten an, und ist sichtlich zufrieden: "Beeindruckend, sehr beeindruckend."


William Turner führt einen neuen Hofdegen in Disneys "Fluch der Karibik" vor.
Einmal balancieren, zwei mal Schwingen, fertig ist der Klingentest.

Qualitätskontrolle á la Disney, zu beobachten im Piratenmeisterwerk "Fluch der Karibik", und immer wieder gerne von Fechtern gemimt denen man eine neue Waffe in die Hand drückt - selbstverständlich mit obligatorischem Schwerpunkt bestimmen und anschließendem "Luft durchschneiden". Aber wie konnte man zu Zeiten, in denen Wilkinson noch Swords herstellte [1], tatsächlich die Qualität einer Klinge bewerten? Ranis bemerkt immerhin schon, dass eine gute Klinge eine Seltenheit sei. Praktischerweise finden wir immer wieder Fechtmeister, die die Qualitätsprüfung in ihren Fechtbüchern gut beschrieben haben. Wir widmen uns in diesem Artikel der Qualitätsprüfung für Degenklingen des späten 18. und 19. Jahrhunderts und haben dazu Hinweise in 12 Fechtbüchern gefunden [2].


Wo sich alle einig sind


Man kann die Prüfung der Klinge in zwei Kategorien aufteilen: Präzision der Form und Materialqualität, dazu zählt sowohl Reinheit als auch Härtung der Klinge. Fast alle der Fechtbücher empfehlen dabei die folgenden Tests:

  • Man solle die Klinge mit der Spitze gegen eine Wand oder den Boden drücken und die Biegung beobachten. Diese Biegung sollte jedoch im Bereich zwischen der Klingenmitte und kurz vor dem Stichblatt stoppen. Spätestens ab ca. 25 cm vor der Glocke sollte keine Krümmung mehr sichtbar sein. Nach dem Test soll die Klinge elastisch in ihre ganz gerade Form zurückspringen. Verbleibt eine Biegung, ist die Klinge zu weich. Das ist zwar ein Defekt, die Klinge bleibt jedoch verwendbar und wird nur selten brechen. Anders ist es, wenn sie sich gar nicht erst biegen lässt. Dann ist sie zu hart, und könnte im Gefecht zerspringen.

  • Die Klinge sollte poliert und ohne optische Mängel sein. Dabei muss man insbesondere auf schwarze, langgezogene Adern achten. Längs der Klinge sind sie ein Merkmal minderer Qualität, quer ein Risiko, dass die Klinge dort wie an einer Sollbruchstelle bricht. Für diese Prüfung ist es empfehlenswert, das Klingenblatt von etwaigem Fett zu reinigen, da dieses solche Defekte oft versteckt.

  • Zu guter Letzt soll die Klinge glatt und gleichmäßig sein. Um das zu testen lässt man die Flächen der Klinge von der Stärke bis zur Schwäche zwischen Daumen und Mittelfinger fahren und versucht dadurch, Unebenheiten zu entdecken.

Fleißpunkte für den Klingenprüfer


Will man noch einen Schritt weiter gehen kann man noch folgende Tests durchführen. Sie werden auch noch relativ häufig empfohlen:

  • Man solle mit einer Feile die Klinge entlangschleifen. Nur die feinste Feile darf dabei Spuren an der Klinge hinterlassen.

  • Ebenso kann man die Klinge an einem Faden aufhängen und sie mit einem zweiten Stück Metall an verschiedenen Stellen leicht schlagen. Der resultierende Klang sollte klar und überall gleich sein - ein Zeichen für eine gleichmäßige Härtung.

  • Die italienischen Quellen erwähnen auch, dass eine hochwertige Klinge hell sein sollte, eine bleierne Färbung solle man vermeiden.

  • Und dann gibt's da noch die ganz rabiate Vorgehensweise, die viele Quellen gleichzeitig empfehlen und vor ihr warnen: Man schlage die Klinge gegen eine harte Holzplatte (einer der Autoren möchte sie sogar gegen ein weiteres Eisen, z.B. einen Amboss geschlagen wissen), und stelle sicher, dass die Klinge keinen sichtbaren Schaden davontrage. Der Nachteil ist freilich, dass eine minderwertige Klinge dabei Schaden nimmt oder sogar springt - diesen Test sollte man in jedem Falle vorher mit dem Klingenschmied absprechen...

Noch nicht genug?


Immer noch nicht von der Qualität überzeugt? Oder soll's ein Geschenk sein? Dann gehen wir besser auf Nummer sicher. Vereinzelt empfehlen die Autoren dann, auf eine gehörige Steifheit der Klinge zu achten, wobei darauf hingewiesen wird, dass diese Steifheit durch Materialqualität, und nicht durch Form (z.B. Dreikantklingen) oder einfach mehr Metall bedingt sein darf - denn die Klinge muss bei aller Steifheit auch leicht bleiben. Auch die Angel müsse stark und nicht zu schmal sein (Punkt für dich, William Turner!), und der Absatz zur Klinge scharf geschnitten, so dass sie gut auf dem Gefäß sitzt. Für Übungswaffen sollte der Knopf an der Spitze klein und exakt mittig sein. Einige Italiener, darunter auch Rosaroll Scorza & Pietro Grisetti, haben zudem konkrete Vorstellungen zum Ursprung der Klinge und listen gleich die besten Schmieden der Zeit. Für Barone Scorza durften sie nur spanischen Ursprungs sein, andere erlaubten auch Klingen aus den dafür bekannten Orten Solingen, Saint-Étienne oder Birmingham. Amüsant ist, dass Scorza & Grisetti die Existenz eines Ricassos als Qualitätsmerkmal der Klinge auffassen: Die Klinge sei sonst "nicht spanisch, und ohne diesen integralen Bestandteil vollkommen nutzlos".


Praktikabler für Fechter mit z.B. französischen Waffen ist dagegen der Hinweis, an der Stärke der Klinge eine deutliche Prägung des Herstellers zu suchen. Auch damals wurden bekannte Marken gerne gefälscht - wenn man den Autoren glauben schenken darf, konnte man diese jedoch oft an einer recht oberflächlichen Prägung der "Marke" erkennen. Auch interessant ist der Hinweis, man möge den Schiftern (das sind die Handwerker, die die Klinge in ihren Griff einsetzen) bei der Arbeit auf die Finger schauen. Denn wenn die Klinge nicht in den Griff passt, haben diese gerne an der Angel gefeilt, und somit die gesamte Klinge geschwächt. Man müsse daher darauf bestehen, dass der Griff auf die Klinge angepasst werde, und nicht umgekehrt.


Und wer trotzdem gerne mit dem Schwert durch die Luft schneidet: Claude La Marche empfiehlt 1898 genau dies: Ein klares Pfeifen beweise die Flexibilität der Klinge.


Ein Hofdegen mit aufwändiger Gravur auf der Klinge.
Kein sichtbares Herstellerzeichen, aber schöne Gravur.

Wie schneidet die moderne Sportklinge nach diesen Kriterien ab?


Ein modernes Sportflorett.
Über die Klingenqualität lässt sich kaum streiten.

Die Tests lassen sich recht schnell an einer modernen Klinge durchgehen, und ohne große Überraschung, die moderne Klinge schneidet hier exzellent ab. Das verwundert natürlich nicht, denn der Stahl, den wir heute zur Verfügung haben, ist ungleich reiner als der der damaligen Zeit - die Herstellung, die Härtung, alles ist automatisiert und überwacht, dadurch ist eine gleichbleibend hohe Qualität möglich. Im modernen Sportfechten kommt eine weitere Qualitätseigenschaft hinzu: Die Klinge soll, wenn sie bricht, nicht spitz, sondern stumpf brechen. Solche Klingen nennt man auch "Maraging-Klingen" [3], sie sind aber ungleich teurer als "reguläre" Sportklingen. Alles in allem zeigt sich aber: Unsere Klingenqualität ist geschichtlich gesehen ein Luxus.


... hätten sie jetzt noch ein Ricasso, könnte man sie glatt praktisch verwenden... ;-)




 

Quellen:

  1. Wilkinson Sword gibt es seit 1772: https://www.wilkinsonsword.com/de-de/uber-uns/

  2. Als Quellen dienten:

    1. Ranis, "Anweisung zur Fechtkunst", Deutschland, 1771

    2. Lüpscher, "Theorie der Fechtkunst", Österreich, 1819

    3. Scorza & Grisetti, "La Scienza Della Scherma", Italien, 1803

    4. Gambogi, "Trattato Sulla Scherma", Italien, 1837

    5. Angelo, "L'école des armes", England, 1763

    6. La Marche, "L'épée", Frankreich, 1898

  3. Die Sicherheitseigenschaften von Maraging-Klingen: https://fencing.net/428/fencing-safety-the-maraging-blade/ 





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