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Domenico Angelos Rätsel

Aktualisiert: 8. Feb. 2022


Ein Fechter salutiert in Domenico Angelos Buch "The School of Fencing"

Wer meine Artikel auf unserem Blog aufmerksam verfolgt, der kennt meine Empfehlung, auch mal selbst ein Fechtbuch in die Hand zu nehmen. Heute machen wir mal genau das - aber keine Angst, es wird alles andere als trocken... Sondern vielmehr praktisch!


Was wir uns heute ansehen ist eine Aktion aus Domenico Angelos "The School of Fencing" (1787), dem Fechtbuch, das viele als erstes im Kopf haben, wenn sie an die Fechtweise des Hofdegens denken.


Liegt euer Degen oder euer Florett bereit? Ja, ich meine das wirklich - holt euch eine Waffe. Ich warte derweil...


Bereit? Na dann los!


Das hier ist die Aktion wie im Original beschrieben. Eine kleine Hilfestellung: "Quart über der Waffe" ist die Quart auswendig, heute auch Sixt genannt. Der "half circle" ist die hohe Septim-Parade. Wer im Englischen nicht so fit ist: Direkt darunter habe ich euch den Text ins Deutsche übersetzt.

Textauszug aus "The School of Fencing" von Domenico Angelo, der eine Finte beschreibt.

Auf Deutsch:

„Aus der Belegung auf der Terz-Seite, nach dem Schlagen auf die Klinge, und einem Appell, müsst ihr in die Terz wechseln, mit der Spitze auf das Gesicht des Gegners, und im Moment, in dem er die Klinge fühlt, pariert, entweder in Terz, oder die Hand in Quart über der Waffe gedreht, müsst ihr die Spitze unter seine Hand fallen lassen, und in Second stoßen, und euer Schwert in Terz, oder der hohen Septim, sichern.“

Schnappt euch den Degen und überlegt einmal, wie die Aktion ausgesehen haben könnte. Und nicht schummeln: Lest erst weiter, wenn ihr eine Theorie habt (ok, falls ihr gar nicht drauf kommt, ist's auch erlaubt, weiterzulesen).


Nicht zu früh weiterlesen!


NICHT ZU FRÜH!


Die Auflösung des Rätsels


Ok, habt ihr was? Ich geb's zu, diese Aufgabe war etwas gemein, aber sie zeigt uns wichtige Berücksichtigungen beim Lesen alter Fechtschriften auf. Angelos „The School of Fencing“ ist eine Übersetzung des Originals „L’Ècole des Armes“, das 24 Jahre früher in Französisch erschien. Die Übersetzung birgt einige Schwierigkeiten und sogar Übersetzungsfehler. Hier ist der französische Text:

Si on est engagé en quarte, il faut, après un battement d'épée et une attaque du pied, dégager subtilmente en tierce, tenant la pointe de l'épée en-avant et sur la ligne du visage de l'adversaire; et dans le temps qu'il vient à la parade simple, soit de tierce, soit de quarte sur les armes, on doit baisser la pointe, tirer à fond un coup de seconde, et revenir à l'épée en tierce ou en demi-cercle.

Zunächst ist die Auslage falsch: Der französische Text macht klar, dass die Belegung aus der Quart-Seite beginnt.


Das zweite Problem liegt in der Formulierung. Die Passage „pariert, entweder in Terz, oder die Hand in Quart […]“ bezieht sich immer noch auf die Aktion des Gegners, auch wenn sich der Text so liest, als wäre er unsere eigene Reaktion!


Damit ist die Aktion wesentlich klarer: Wir sollen in Quart belegen, dann eine Quart-Battuta auf die Klinge ausführen und den Gegner dabei mit einem Aufstampfen (Appell) erschrecken. Er wird instinktiv mit seiner Klinge zurück in die Quart drücken. Das nutzen wir, um seine Klinge zu umgehen und eine Finte (mit unserer Waffe in Terz-Handstellung) auf sein Gesicht auszuführen, auf die er mit einer Terz oder Sixt Parade reagieren wird. Wenn er das tut, lassen wir die Spitze fallen und treffen ihn mit einem Ausfall in der Flanke. Zu guter Letzt rät uns Angelo, beim Aufstehen sofort in die Terz oder Septim zu wechseln, um eine potentielle Riposte so schnell wie möglich abzufangen.


Was lernen wir daraus?

Zum einen, das alte Texte auch Fehler haben können, und wir nicht immer 100% Gewicht auf sie legen können. Zum anderen, dass man die besten Ergebnisse erzielt, wenn man mehrere Quellen zur selben Technik – in diesem Fall sogar vom selben Autor – zu Rate zieht.

Behält man diese Dinge im Hinterkopf, liest sich Angelo allerdings recht gut. Wer Lust darauf hat: Man findet die englische Version „The School of Fencing“ frei verfügbar und online als PDF.

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