Im letzten Blogpost haben wir euch gezeigt, wie ihr euch euren eigenen Fecht-Dummy konstruiert. Heute schauen wir, was wir damit (und generell daheim) üben können!
Prinzipiell bietet uns das Training zu Hause ein paar Vorteile, die wir im regulären (geführten) Gruppentraining im Sportverein weniger bekommen. Zum einen können wir unsere Übungen individualisieren – das ist sonst nur in gewissem Grad möglich, und normalerweise den Einzellektionen vorbehalten. Wir können also an unseren persönlichen Schwächen arbeiten, und unsere Technik punktgenau verbessern. Zum anderen können wir den einzelnen Aspekten so viel Aufmerksamkeit widmen, wie wir benötigen. Wenn ich in einer Gruppenlektion eine halbe Stunde nur Schritte vor und zurück ausführen lasse (auch wenn mit Pausen), dann bin ich bald der einzige im Fechtsaal… Dem motivierten Fechter daheim helfen diese Übungen aber ungemein, und dort muss auf andere Fechter keine Rücksicht genommen werden.
Bevor wir in die Möglichkeiten und Strategien zum Training daheim eintauchen noch ein Tipp sowohl für Anfänger als auch für Fortgeschrittene: Lest. Fechtbücher. Ausrufezeichen! Fechten ist ein „theoriegetriebener“ Sport – das gilt für klassisches Fechten ganz besonders. Die wenigsten Fechtaktionen lassen sich ohne Kontext durchführen, fast immer müssen bestimmte Randbedingungen erfüllt sein, bevor ich sie durchführen kann. Dieses taktische Verständnis wird natürlich auch in den Lektionen geschult, aber den Überblick über das große Ganze, und wie die Zahnräder ineinander greifen, bekommt man sehr effizient durch entsprechende Fechttexte präsentiert. Klassische Fechttexte sind dank ihrem Alter i.d.R. frei im Internet verfügbar, z.B. Angelos „School of Fencing“ oder Masaniello Parises „Trattato Teorico-Pratico delle Scherma di Spada e Sciabola“, lediglich die Sprache schränkt hier u.U. etwas ein. Fechtern, die daheim üben möchten, empfehle ich tatsächlich Fechtbücher zum modernen Sportfechten. Denn was die Analyse von Trainingstechniken und Möglichkeiten angeht, dort sind die Sportfechter unübertroffen. Und der größte Teil der Informationen dazu sind 1:1 auf das klassische Fechten übertragbar. Besonders empfehlen kann ich hier Bac H. Taus „Fencing“, The complete guide to fencing“ von Barth et al. und „Fechten – Der Weg zur Meisterschaft“ von Dr. Boris Touretski und Katharina Kroggel.
Übungen für Anfänger
Wenn ihr noch nicht so lange beim Fechten dabei seid, müsst ihr bei Übungen daheim besonders aufpassen. Zwar raten viele Trainer gerne dazu, gerade die Fechtschritte daheim regelmäßig zu wiederholen – aber durch Training ohne Aufsicht besteht ein erhöhtes Risiko, dass sich unbewusst durchgeführte Fehler „einbrennen“. Die sind nur sehr, sehr schwer wieder loszuwerden. Trotzdem sind Übungen daheim sinnvoll und wichtig, sie müssen nur korrekt strukturiert werden.
Als Anfänger konzentriert ihr euch auf technische Korrektheit von Aktionen. Keine Geschwindigkeit, keine komplexen Aktionen. Wenn ihr eine Aktion üben wollt, zerlegt euch diese Aktionen in die verschiedenen Aspekte. Am Beispiel Beinarbeit: Beim Schritt vorwärts muss man (je nach Schule) beachten, dass der Körperschwerpunkt mittig ist, die Beine, Knie und Füße rechtwinklig zueinander stehen, beide auf der Gefechtslinie sind, wir tief in der Fechtstellung „hocken“, und wir den Abstand der Füße beim Schritt halten. Für jedes technische Detail führen wir nun wenige Wiederholungen durch – 10-15 sind mehr als genug. Dadurch frischen wir unser Muskelgedächtnis auf, wie sich die Technik auf diesen einen Aspekt bezogen korrekt anfühlt. Für etwaige Fehler, die wir dabei ausführen, reichen diese paar Wiederholungen aber noch nicht aus, um sie „einzubrennen“. Das 1-2-mal die Woche durchzuführen reicht vollständig aus. Außerdem empfehle ich euch, euren Trainingsplan mit einem Trainer durchzusprechen. Er kann euch wertvolle Tipps dazu geben, was ihm oder ihr bei euch persönlich aufgefallen ist, oder euch Möglichkeiten zur Selbstkorrektur aufzeigen.
Übungsvorschläge
Beinarbeit:
Schritte vor und zurück mit Hilfsmitteln und Konzentration auf einzelne Aspekte der Technik. Hilfsmittel sind z.B. ein Spiegel. Ausfälle gegen einen unsichtbaren Gegner oder – noch besser – auf ein Stoßkissen. Zum Techniktraining des Ausfalls gibt es viele Möglichkeiten für zusätzliche Hilfsmittel: Z.B. könnt ihr einen Chip unter die Ferse des Ausfallbeins legen und diesen mit dem Ausfall nach vorne „kicken“. Das zwingt euch, das im Ausfall essenzielle nach-vorne-Schleudern des Ausfallbeins korrekt durchzuführen. Ein persönlicher Favorit ist das Trainieren mit einem Gummiband: Vor euch befestigen, statt Fechtwaffe in der Hand halten, spannen und Ausfälle durchführen. Das Band „zieht“ euch in einen korrekten Ausfall-Ablauf: Arm vor Bein, und beim Aufstehen umgekehrt (auch hier natürlich beachten, was eure Schule vorgibt. Im Florett und Säbel gilt beim Aufstehen zumeist ebenfalls "Arm vor Bein"). Das Band könnt ihr auch um das vordere Knie legen – dann unterstützt euch das Band bei Schritten vor- und Rückwärts, indem es euer Knie auf die Gefechtslinie zieht. Ganz generell übernehmen Hilfsmittel zum Teil die Rolle des nicht vorhandenen Trainers: Sie geben euch fühlbares Feedback, ob ihr die Übung richtig macht. Entweder dadurch, dass sie euch gleich in die richtige Position ziehen (Gummiband), oder dadurch, dass sie nur gelingen, wenn ihr die Aktion richtig ausführt (Chip nach vorne kicken).
Mit dem Dummy:
Bindungswechsel aus der Fechtstellung (aus der Quart in die Terz und umgekehrt, dasselbe mit Sixt-Quart, Second-Septim, Oktav-Septim). Dabei auf die korrekte Handstellung (sprich Drehung) nach innen oder außen achten. Auch auf eine korrekte Glockenbindung, wenn diese in eurer Fechtschule vorgesehen ist. Stellt ihr den Dummy-Arm so ein, dass die Spitze an euch vorbei zeigt, könnt ihr nach eurer eigenen Bindung auch einen Ausfall ansetzen. Oder ihr begebt euch in die „gebundene“ Stellung und führt einen Umgehungsstoß durch. Das sollten dann allerdings auch schon die komplexesten Übungen sein, die ihr durchführt.
Zusätzlich bieten sich Mensurübungen an. Lasst den mechanischen Fechtarm in Einladung stehen (also so, dass er an euch vorbei zeigt), und bindet ihn mit eurer Klinge. Dann lösen und einen Stoß auf den Körper, das Bein, oder (falls gepolstert) den Oberarm des Dummys. Anschließend verändert ihr euren Abstand zum Dummy etwas und führt die Übung nochmals durch. Die Idee dahinter ist, ein Gefühl dafür zu bekommen, wann ich den Dummy (gerade noch) treffen kann und von wo. Die Streckung des Dummy-Arms könnt ihr ebenfalls variieren. Ein erfahrener Fechter verlässt sich bei der Abschätzung des Abstands (der Mensur) auf das Gesamtbild der Situation. Mit dem Waffenarm könnt ihr euch ein realistisches Gegnerbild erzeugen, und ihr werdet feststellen, dass ihr euch z.B. bei der Kreuzung der Klingen an der Klingenschwäche (mäßig gebeugter Dummy-Arm vorausgesetzt) zu weit weg für einen Stoß befindet, und dass, wenn die Spitze 10cm über eure Glocke hinausragt, ihr näher seid, als ihr sein müsstet. Achtung: Wenn's nicht nur eine Demonstration wie im Foto ist, auf jeden Fall mit Maske arbeiten!
Sonstige Übungen:
Ein, zwei oder drei Markierungen an der Wand können zum Training des Waffengefühls verwendet werden: Einfach in Fechtstellung davorstellen und kleine Kreise mit der Waffenspitze um die Markierungen herum durchführen. Ein Pendel mit einem leichten Gewicht (z.B. einem Tennisball) ist hervorragend geeignet, um rhythmisch Umgehungen zu üben. Leicht pendeln lassen, und im richtigen Moment mit der Klinge nach unten ausweichen, so dass der Ball uns nicht trifft. Wer dahinter ein Stoßkissen hat, kann gleich einen Ausfall daransetzen – und simuliert so einen Stoß ins Tempo. Dasselbe Pendel kann auch als Ziel für Stoßübungen verwendet werden. Pendelt es auf den Fechter zu, haben wir gleich noch eine Mensurübung zusätzlich.
Übungen für Fortgeschrittene
Zu den Fortgeschrittenen könnt ihr euch zählen, wenn der Fechtlehrer bei der Aktion, die ihr üben wollt, technisch nichts mehr auszusetzen hat. Hinweise darauf sind, dass er möchte, dass ihr euch auf kleinere oder schnellere Durchführungen der Aktion konzentriert. Euer Fokus unterscheidet sich grundlegend von dem des Anfängers: Die Technik beherrscht ihr bereits, jetzt geht es darum, dass sie auf Kommando automatisch abläuft – so schnell und effizient wie möglich. Wenn es um Automatismus-Abfolgen komplexer Aktionen geht, wählt euch eine komplexe Aktion und wiederholt sie – häufig! Beginnt langsam, um 100% technisch korrekte Abfolgen sicherzustellen, und erhöht dann schrittweise die Geschwindigkeit bis knapp unter die Gefechtsrealität. Das Training der Geschwindigkeit ist komplex und setzt voraus, dass alle Zahnräder perfekt ineinander greifen: Die Technik ist die Grundvoraussetzung dafür. Wenn ihr z.B. das Umschalten von Schritt rückwärts auf Schritt vorwärts nicht schnell genug hinbekommt, prüft noch einmal genau, ob sich euer Schwerpunkt beim Schritt rückwärts nicht nach hinten verschiebt. Anschließend könnt ihr mit Konzepten wie z.B. dem Stretch-Shortening Cycle arbeiten, der besagt, dass ein Muskel sich besonders explosiv kontrahieren kann, wenn er vorher kurz gedehnt wurde. Auf den Ausfall bezogen bekommt ihr diesen Vorteil z.B. wenn ihr nach dem Schritt rückwärts bewusst Spannung durch eine tiefe Fechtstellung aufbaut. Auch euch hilft eine Absprache mit eurem Trainer – für Wettkampfsportler ist das selbstredend, und ein guter Trainer sollte euch bereits Vorschläge zum Training daheim gemacht haben. Aber auch ambitionierte Hobbyfechter können sich von ihren Trainern Anregungen und Vorschläge zum Erreichen ihrer Ziele holen.
Übungsvorschläge
Beinarbeit
Der fortgeschrittene Fechter konzentriert sich auf schnelle Richtungswechsel und kleine, aber schnelle Schritte in der Beinarbeit. Hier unterstützen Signale von außen (z.B. über einen Zufallstimer), um die Reaktion auf den Gegner zu schulen. Beim Ausfall wird auf Explosivität geachtet – und auf Reichweite. Variationen, wie z.B. die Schrittlänge zu ändern, sind ebenfalls sinnvoll. Neben diesen reinen Fechtübungen kommen beim fortgeschrittenen Fechter Kraft- und Dehnungsübungen hinzu (Ausdauerübungen ebenfalls, allerdings beim klassischen Fechten nicht ganz so relevant wie beim Sportfechten). Die Möglichkeit, explosiv zu agieren, hängt maßgeblich von der Muskelmasse und dem Aufbau der Muskeln ab. Ohne die entsprechende Muskulatur ist der Fechter von Grund auf in seinen Möglichkeiten limitiert. Und der Unterschied zwischen guter und schlechter Dehnbarkeit kann beim Ausfall beinahe einen Schritt vorwärts ausgleichen! Die meisten Trainer können euch prinzipielle Beispiele für gute Dehn- und Kraftübungen geben, ideal ist allerdings ein Programm eines darauf spezialisierten Trainers (euer Fechtlehrer kann euch sicher eine Stelle empfehlen oder euch bei der Bewertung eines Programms helfen). Grundsätzlich solltet ihr aufpassen, dass das entsprechende Program athletisch ist (also kein Bodybuilding-Programm, sondern auf Anwendung bedacht), und dass die Übungen sicher sind (eine gekoppelte Ausbildung von Kraft- und Physiotherapie wäre z.B. ideal).
Mit dem Dummy
Die gleichen Übungen, die schon der Anfänger ausführt, sind auch für den fortgeschrittenen Fechter wertvoll – wenn auch mit anderem Fokus. Bindungswechsel oder Umgehungsstöße mit Fokus auf möglichst kleinen, effizienten Bewegungen machen Sinn. Ebenso ein Fokus auf die exakte Ausrichtung der Spitze der Waffe – sowohl beim Stoß, als auch bei Bindungen oder anderen Klingenangriffen. Gleitstöße und Übertragungen sind ebenfalls möglich, müssen aber mit dem jeweiligen Dummy auf Praktikabilität evaluiert werden. Sehr oft sind manche Übertragungen sehr effizient möglich, bei anderen „drückt“ der Dummy zu stark dagegen, so dass die Klinge zu schnell auskommt. Aber auch das kann genutzt werden: Jetzt muss die Klinge schneller sausen, um den Kontakt nicht zu verlieren; die Technik muss auf den Punkt stimmen; und wir bekommen ein sehr feines Gefühl für den Druck gegen unsere Waffe: Ab wann müssen wir damit rechnen, dass uns die Waffe entgleitet?
Natürlich existieren noch unzählige weitere Übungsmöglichkeiten für den fortgeschrittenen Fechter – alle aufzuzählen würde eher ein Buch als einen Blogartikel füllen. Die bisherigen Beispiele – auch die für Anfänger – sollten als Anregung dienen. Liebe fortgeschrittene Fechter, für euch wiederhole ich es noch einmal, weil es so wichtig ist: Lest Bücher! Vor allem die letzten drei oben genannten geben euch mehr Werkzeuge für euer Heimtraining an die Hand, als ihr jemals brauchen werdet.
Und damit bleibt mir nur noch zu sagen: An die Eisen!
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