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Training zum Richtungswechsel rückwärts

Aktualisiert: 29. Juni 2022

Für alle Fechter, die unseren Blogeintrag zu den "guten fechterischen Vorsätzen fürs neue Jahr" gelesen haben und sich dachten "Beinarbeit klingt doch toll", habe ich heute genau das richtige Thema. Und zwar geht es um genau das: Eine Beinarbeits-Trainingsidee für fortgeschrittene Fechter. Genauer: Um das Training des Wechsels vom Schritt nach vorne zum Zurückweichen außerhalb des eigenen Sportvereins.


Die Achillesferse des klassischen Fechtens


Warum ist der Wechsel vom Schritt vorwärts in den Schritt rückwärts so kritisch? Dazu müssen wir uns bewusst werden, dass der Schritt vorwärts aus zwei Teilen besteht: Dem Vorsetzen des Ausfallbeins, und dem Nachsetzen des Standbeins. Während dem Vorsetzen des Standbeins jedoch ist der Fechter in einer gefährlichen Lage. Sein Gewicht ist kurz auf sein hinteres Bein konzentriert. Er kann während diesem kurzen Zeitraum die Bewegung kaum abbrechen und plötzlich die Richtung wechseln. Entschließt sich sein Gegner gerade jetzt für einen Angriff, muss er aus seiner Vorwärtsbewegung heraus parieren. Je nach Mensur kann das schwierig bis unmöglich werden. Das "hüpfen" des Sportfechters ist übrigens exakt diesem Umstand geschuldet. Statt einem Belasten des hinteren Beines werden beide Beine simultan nach vorne befördert, es ergibt sich keine "Fixierung" des Standbeines. Diese Beinarbeitstechnik ist jedoch (aus verschiedenen Gründen) nur sehr fortgeschrittenen Fechtern zu empfehlen, und erübrigt sich für den klassischen Fechter sowohl aus Gründen der geschichtlichen Authentizität, als auch aus den Ansprüchen dieser Beinarbeit an die Fechtboden- und Fechtschuh-Qualität (die nicht als ideal angenommen werden konnte).


Apropos geschichtliche Authentizität: Wenn ich klassisch korrekt fechte, dann trainiere ich ganz bewusst die Parade aus dem Stand. Dann verringert sich das Problem ganz automatisch, denn mit dem Schritt vorwärts komme ich in eine mittlere Mensur, und aus dieser bin ich bereits zu parieren gewohnt. Lediglich die Reaktion auf "Überraschungen" wird erschwert: Wenn ich die gegnerische Klinge mit meiner Parade nicht finde, wird es schwierig, mich noch durch eine Erweiterung der Mensur zu retten...


Trotzdem müssen wir uns dieser Problematik bewusst sein und unsere Beinarbeit soweit optimieren, dass dieses Problem so gering wie möglich ausfällt.


Dabei spielen praktisch alle technischen Vorgaben für den Schritt vorwärts eine Rolle. Besonders aber müssen wir darauf achten, dass der Schritt so schnell wie möglich beendet ist. Dabei helfen uns besonders die kleinen Schritte - durch sie ist das Zeitfenster, in dem der Gegner agieren könnte, so gering wie möglich. Wollen wir unseren Richtungswechsel effizient trainieren, kommt jedoch noch eine weitere Komponente hinzu: Die Reaktionsfähigkeit. Im eigenen Sportverein ist das kein Problem - hier müssen wir ohnehin auf den Gegner reagieren. Beim Training wird darauf oft zu wenig eingegangen.



Da gibt's doch eine App dafür?

Zwei gekreuzte Degen mit einem Handy im Hintergrund.
Ein einfacher, aber effizienter Helfer...

Eine sehr schöne Möglichkeit, all diese Punkte zu trainieren, ermöglicht die "Footwork for Fencing" App von Jogo d'armas. Hier schon mal eine Vorwarnung: Sie ist nicht in Deutsch verfügbar, Basis-Englischkenntnisse helfen also. Allerdings ist der Text ohnehin sehr begrenzt, die App arbeitet primär mit Symbolen. Die Basis-Funktionalität der App ist schnell erklärt: Sie lässt verschiedene Farben in zufälligen Zeitabschnitten aufblinken. Dabei interessiert uns für unsere Übung nur, dass wir in passend geringen Zeitabständen ein Signal bekommen, auf das wir reagieren können. Man kann die App also auch durch eine ähnliche App ersetzen. Nur sind bei ihr die Zeitabstände so ideal gewählt, dass sie sich bei mir bewährt hat.


Wir stellen die App nun so ein, dass nur die kürzesten und die längsten Pause zwischen den Signalen deaktiviert sind. Das Handy stellen wir vor uns auf die Fechtbahn, starten die App und gehen ein paar Schritte entfernt davon in Fechtstellung. Die Aufgabe ist nun folgende: Wir warten auf einen farbigen Bildschirm. Im Moment, in dem dieser wieder verschwindet, führen wir schnell drei Schritte vorwärts und einen Ausfall durch. Schaffen wir das - gut, zurück zum Ausgangspunkt und wieder von vorne. Erscheint während unserer Schritte vorwärts aber ein anderer, farbiger Bildschirm, heißt es sofort zwei Schritte zurück und ein Ausfall.


Warum ist diese Übung so effizient? Zunächst das Timing: Der Abstand ist so gewählt, dass es - zumindest bei mir - eine 50/50 Chance ist, ob ich meine drei Schritte mit Ausfall durchführen kann, oder ob mir ein farbiger Bildschirm in die Quere kommt. Damit habe ich eine reale Chance auf beide Situationen. Durch die farbigen Unterbrechungen bin ich gezwungen, zu reagieren. Das ist realistischer zum echten Gefecht, denn auch dort muss ich aus der Überraschung heraus reagieren können. Eine schlechte Technik kann ich so nicht unbewusst kaschieren, nur mit qualitativ hochwertigen und kleinen Schritten habe ich eine Chance. Richtig clever wird die Übung aber dadurch, dass ich mir die drei Schritte mit Ausfall vornehme. Das verhindert nämlich, dass ich meine Schritte vorwärts langsam und abgehakt mache, meine Schritte vorwärts praktisch mit der Absicht zum Rückzug durchführe. Denn wer nähert sich seinem Gegner schon mit dem Ziel an, durch ihn wieder zurückgescheucht zu werden? Nein, der Schritt vorwärts verfolgt stets ein eigenes, in der Regel offensive Ziel. Habe ich dagegen auch in der Übung die Absicht, eine offensive Aktion durchzuführen, dann werde ich die Schritte vorwärts realistisch, schnell und aggressiv durchführen. Und wenn ich jetzt unterbrochen werde, dann ist das so nah an einem überraschenden Angriff meines Gegners in meinen Schritt vorwärts, wie es nur sein kann. Und ich lerne tatsächlich, aus der Überraschung heraus die Richtung zu wechseln.

Übrigens: Für unsere Fechter gibt es diese Übung eingebettet in einen 6-Wochen Trainingsplan unter unseren "Trainingsplänen" zum herunterladen!

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