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Die italienische Fechtstellung und ihr Ausfall

Aktualisiert: 29. Juni 2022

Im modernen Sportfechten sprechen wir gerne von "der" Fechtstellung, und "dem" Ausfall. Diese Einheitlichkeit ist jedoch noch gar nicht so alt - bis in die 1950er finden wir mehrere, konkurrierende Fechtstellungen, und mit diesen auch konkurrierende, zur Stellung passende Varianten des Ausfalls. Eine dieser Varianten ist die italienische Auslage, und der italienische Ausfall. Diese unterscheiden sich in einigen Kernpunkten von ihren modernen Gegenstücken, und bieten dadurch ganz eigene Vorteile. Die Fechtstellung und den Ausfall der italienischen Schule möchte ich im Folgenden - mit Vorteilen und Nachteilen - vorstellen.


Viva la Vielfalt!


Was ist also die italienische Fechtstellung und der italienische Ausfall? Ganz so einfach ist die Frage eigentlich nicht zu beantworten, denn die italienische Schule gab es gar nicht. Während sich die französische Fechtkunst recht einheitlich entwickelte, bildeten sich in Italien je nach Region und Fechtmeister unterschiedliche Schulen, die sich gegenseitig teils ebenso harsch kritisierten wie sie es für Fechtweisen anderer Länder taten. So scheint z.B. Ferdinando Masiello sein "La Scherma Italiana di Spada e di Sciabola" (1887) mit dem Primärzweck der Kritik an Masaniello Parise verfasst zu haben. Auch die Franzosen hatten einen Einfluss auf die in Italien gelehrte Art zu Fechten, und es entstand die "Scuola Mista", die gemischte Schule. In der Praxis bedeutet das, dass wir eine bestimmte Fechtweise oder Fechttechnik nur bedingt generisch als "italienisch" bezeichnen können. Aber: Es gibt technische Details die sich besonders häufig in den italienischen Fechtweisen wiederfinden, und die wir heute vereinfacht als "italienisch" bezeichnen.


Stellung und Ausfall


In Auslage steht der italienische Fechter eher weit, mit 2 Fuß Abstand zwischen den Fersen (mit Fuß ist hier die Fußlänge des Fechters gemeint, nicht die damals gebräuchliche Maßeinheit). Sein Gleichgewicht ist gleichmäßig auf beide Beine verteilt. Der Waffenarm ist eher weit, oft komplett gestreckt. Die andere Hand variiert, häufig wurde sie nach vorne genommen, besonders später im Bogen nach hinten oben gehalten. Der Ausfall ist verglichen mit der französischen Schule kurz, dafür wird der Oberkörper in Verlängerung mit dem Standbein nach vorne gebeugt. Der Schwungarm streckt sich gerade nach hinten.



Was ist also die Rationale hinter diesen Techniken? Wenn wir die Fechtstellung betrachten, wird klar, dass sie auf dynamische Beinarbeit optimiert ist - auch wenn Beinarbeit damals eine wesentlich geringere Rolle gespielt hat, hatte die italienische Schule die besten Voraussetzungen dafür. Der weite Abstand zwischen den Füßen sorgt dafür, dass der Fechter bei einem plötzlichen Richtungswechsel nicht durch das Trägheitsgesetz in die vorherige Richtung umkippt. Das gleichmäßige Verteilen des Gewichts auf beide Beine sorgt für eine gleichmäßige Belastung und für größere Ausdauer in der Fechtstellung. Für den Ausfall gibt Ferdinando Masiello uns in seiner "La Scherma di Fioretto" (1902) eine Liste an "Qualitätsmerkmalen". Ein guter Ausfall soll:

  • schnell sein

  • kraftvoll sein, um auch durch eine schwache Parade brechen zu können

  • eine hohe Reichweite besitzen

  • das Gleichgewicht waren, um ein schnelles Aufstehen in die Fechtstellung zu ermöglichen

  • koordinativ stimmig sein, also nicht gegen den Körper arbeiten

Interessant sind hierbei vor allem die Punkte "Reichweite" und "Gleichgewicht". Kann ein italienischer Ausfall mit einem französischen mithalten? Die Antwort mag überraschen, aber ja, kann er. Sowohl rechnerisch als auch im Modell verifiziert kommt man auf eine ziemlich gleiche Reichweite. Je nach Proportionen des Körpers liegt mal die eine, mal die andere um wenige Zentimeter vorne. Der Vorteil liegt dann darin, dass weniger Dehnarbeit in den Beinen notwendig ist - für Freizeit-Fechter kann er damit eine echte Alternative sein.


Spannend ist auch die Frage des Gleichgewichts, denn die nach vorne gebeugte Stellung belastet das Aufallbein stärker und verschiebt den Schwerpunkt nach vorne. Die Philosophie der italienischen Schule nach Masiello ist hier jedoch grundlegend anders als die französische. Der vorgebeugte Oberkörper werde aktiv zur Rückkehr in die Fechtstellung genutzt. Die Theorie ist, dass der Schwung des ruckartig zurückgenommenen Oberkörpers das schnelle Aufstehen aus dem Ausfall unterstützt. Der Schwung zieht den Fechter also regelrecht in die Auslage zurück. Das Ausfallbein, auf der anderen Seite, wird nur kurz belastet, so dass die Effekte der Überbelastung vernachlässigt werden können.


Als Bonus erwähnt Masiello die Tatsache, dass der Fechter, sollte er sich entscheiden die Riposte seines Gegners noch im Ausfall zu parieren, weniger Trefffläche in der Flanke hat.


Das gestreckte Lager


Italienischer Fechter in Fechtstellung mit gestrecktem Arm
Auslage nach Masaniello Parise, 1884

Bleibt noch eine weitere Besonderheit der italienischen Schule: Die Fechtstellung mit fast komplett gestreckten Waffenarm. Die Überlegung dieser Auslage war dabei folgende: Mit der gestreckten Waffe bin ich näher an der Trefffläche meines Gegners. Theoretisch muss ich also weniger Distanz beim Angriff zurücklegen und kann schneller treffen. Auch stellt mein gestrecktes Lager eine akute Bedrohung für meinen Gegner dar - er muss die Klinge in jedem Fall vor einem eigenen Angriff beseitigen, anders geht es nicht. Und zu guter Letzt kann ich die Paraden weit von meinem Körper entfernt durchführen, wodurch sie trotz kleinerer Bewegungen effizienter und sicherer werden.


Das gestreckte Lager bringt allerdings auch einige Probleme mit sich, die entsprechend kompensiert werden müssen. Es fällt schwer, Finten überzeugend durchzuführen, wenn das ruckartige Strecken des Arms entfällt. Hier ist deswegen ein leichtes Vorbeugen des Körpers mit der Finte, oder gleich ein Schritt vorwärts notwendig. Auch muss man sich auf eine andere Fechtweise einlassen, denn die flache Klinge erschwert Klingenschläge, vereinfacht dafür aber die meisten anderen Klingenangriffe. In der Praxis wird das gestreckte Lager meist eingesetzt, um einen Angriff auf die Klinge zu provozieren, auf den wiederum mit einem Stoß in's Tempo reagiert wird. Und dann gibt es da noch die Angriffe auf den Unterarm. Interessanterweise argumentieren Rosaroll Scorza & Grisetti mit einer besonderen Sicherheit für den Waffenarm: Der gesamte Arm befinde sich hinter der Glocke, der Gegner müsse daher für einen Angriff auf den Arm einen Winkel bilden, und damit seine eigene Trefffläche auf den Arm freigeben. Diese Überlegung klingt gut, hat aber, wie wir heute wissen, ein praktisches Manko: Die Spitze des Gegners befindet sich so nah an unserem Arm, dass ein Angriff auf den Arm schneller durchgeführt werden kann als die Information "Achtung, Winkelstoß auf den Arm!" verarbeitet wird.


Ob Angriffe auf den Arm der Duellpraxis des damaligen Italiens überhaupt entsprachen, darüber kann man freilich streiten.


Ist diese Stellung gefechtstauglich?


Am Ende ist es wie mit allen Fechtschulen: Jede bietet Vor- und Nachteile. Der Trick besteht darin, mit den Nachteilen umgehen zu können und taktische Antworten für ihre Probleme bereitzuhalten. Für das Problem der Armtreffer hilft eine konsequente Reaktion mit Gegenangriffen (z.B. dem Ritirato bzw. Ressamblement) - die machen einen Armangriff mit geringer Trefferwahrscheinlichkeit zu riskant. Für das Sportfechten ist diese Fechtstellung schwierig umzusetzen. Im klassischen Fechten ist sie sehr wohl und sehr erfolgreich einsetzbar.


Quellen: Ferdinando Masiello's "La Scherma di Fioretto" beinhaltet eine detaillierte Analyse der italienischen Stellung und ihres Ausfalls. Walter Green stellt auf EzineArticles eine sehr gute Zusammenfassung der Vor- und Nachteile des gestreckten Lagers zur Verfügung. Barth et al., "The Complete Guide to Fencing" erwähnt die Schwierigkeit, auf Armangriffe schnell genug zu reagieren.

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