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Die Quarta Bassa nach Rosaroll Scorza & Grisetti

Aktualisiert: 1. Mai 2021


Ein Portrait des Barone Rosaroll Scorza.
Barone Rosaroll Scorza

Wenn ich die Perfektion und Raffinesse der Fechtkunst in einer einzigen Aktion zusammenfassen müsste – dann hätte die Quarta Bassa gute Chancen, dafür ausgewählt zu werden.


Hinter diesem unscheinbaren Begriff (übersetzt bedeutet es schlicht „Tiefe Quart“) versteckt sich eine Variante der Inquartata, die den Gegner jedoch noch viel überraschender trifft, als es bei der Inquartata normalerweise der Fall wäre. Gefunden habe ich sie in Rosaroll Scorza & Grisettis „la scherma della spada“, 1803. Bevor wir die Quarta Bassa genauer analysieren, kurz eine Wiederholung der Inquartata selbst.


Die Inquartata


Zeichnung einer Inquartata nach Rosaroll Scorza & Grisetti.
Inquartata nach Rosaroll Scorza & Grisetti

Unter dieser Technik versteht man einen Gegenangriff mit Treffflächenentzug, und die Inquartata ist unter dieser Kategorie das Paradebeispiel. Sie hat selbst den Sprung in’s Sportfechten überstanden und hat auch dort noch Bestand. Um sie durchzuführen, muss man den Gegner zu einem freien Stoß auf die eigene Brust-Innenseite verleiten. Eine einfache Möglichkeit dazu wäre z.B. das Binden in Terz, wodurch der Gegner den von uns gewünschten Umgehungsstoß in die Brust durchführen soll. Als Gegenangriff agieren wir nun gleichzeitig, in seinen Umgehungsstoß hinein: Wir strecken den Waffenarm und richten die Spitze leicht gesenkt auf den Gegner. Den hinteren Schwungarm „werfen“ wir nach hinten, ebenfalls in die Streckung. Dabei versetzen wir das hintere Standbein etwas nach außen. Die vom Gegner anvisierte Trefffläche in unserer Quart verschwindet, dafür stürzt er nun in unsere eigene Klinge.


Die Quarta Bassa


Die Quarta Bassa wird, wie eingangs erwähnt, nach Rosaroll Scorza & Grisetti als Kontrotempostoß ausgeführt. Als einen solchen versteht man einen Stoß, der gegen einen Stoß in’s Tempo durchgeführt wird – also ein Gegenangriff in einen Gegenangriff. Wenn man das Konzept von Fecht-Tempos verstanden hat, dann ahnt man jetzt schon: Das wird hektisch. Denn in der Theorie ist für jede Aktion ein Tempo reserviert. Wenn mein Gegner ein Tempo für seine Aktion in Anspruch nimmt, dann habe ich ein Tempo, um eine Gegenaktion durchzuführen. Ein Stoß in’s Tempo ist nun ein Stoß, der in mein Tempo hinein gesetzt wird, das bedeutet, dass ich bereits mit einer Aktion beschäftigt bin. Ich muss also innerhalb eines Tempos meine ursprüngliche Aktion abbrechen, und eine komplett neue durchführen und vollenden. Nochmal wiederholt: Für einen Kontrotempostoß muss ich unglaublich schnell sein.


Nun zur eigentlichen Quarta Bassa. Da die Inquartata hat mit ihrer Bekanntheit einen entscheidenden Nachteil: Jeder Fechter rechnet mit ihr. Eine Bindung in Terz wie im Beispiel riecht geradezu wie eine Falle. Ganz allgemein traut man sich als Fechter nur dann einen freien Stoß auf die Innenseite zu setzen, wenn der Gegner irgendwie beschäftigt ist. Diese Haltung zur Vorsicht bleibt sogar bei einem Stoß in’s Tempo nach innen im Hinterkopf. Ganz anders sieht es hier bei einem Umgehungsstoß nach außen aus. Die Inquartata scheint hier absolut unmöglich.


Die Quarta Bassa aber ist exakt das: Eine Inquartata, die gegen einen Stoß auf die Außenseite durchgeführt wird!


Vereinfacht gesagt führt man zunächst eine Umgehung durch, und kann dann, da sich die Klinge nun wieder innen befindet, die Inquartata durchführen. Die Schutzwirkung wird nun nicht mehr durch Treffflächenentzug, sondern durch das Aussperren des gegnerischen Stoßes in verhangener Quart-Handstellung erzielt. Das Problem ist, dass diese Aktion eigentlich viel zu langsam wäre. Wir erinnern uns: Ein Kontrotempostoß muss ja gerade besonders schnell sein. Und hier kommt nun die ganze Eleganz des Fechtens zum Vorschein. Denn was die Umgehung mit Inquartata so langsam machen würde, das sind komplexe muskuläre Abläufe. Die Kreisbewegung einer Kreisparade benötigt ständige Richtungswechsel, und das kostet Zeit. Die Quarta Bassa ist jedoch so ausgelegt, dass das – obwohl wir im Prinzip eine Kreisbewegung durchführen – kaum bis gar nicht notwendig ist (abgesehen vom Abstoppen der ursprünglichen Bewegung, die aber in praktisch jedem Kontrotempostoß notwendig ist). Der Trick ist, dass die Bewegungen kleinerer Muskeln von größeren Muskeln „überschrieben“ werden.

Grafik zur Verdeutlichung des Zusammenspiels der Bewegungen bei der Quarta Bassa.
Zusammenspiel der Bewegungen bei der Quarta Bassa

Die Muskeln im Handgelenk senken die Spitze ab, gleichzeitig sorgen die Schulterrotatoren für eine Bewegung der Klinge nach außen. Sind wir unter der gegnerischen Klinge hindurch, streckt sich der Arm (bzw der Arm hebt sich, bei italienisch gestrecktem Lager). Dadurch werden die Glocke und die gesamte Klinge nach oben gezogen, ohne dass ich die Bewegung im Handgelenk abrupt abstoppen und/oder reversieren müsste. Die Außenbewegung durch die Schulter mag nur langsam stoppen, das zurück werfen des Schwungarmes und das Versetzen des Fußes, und die dadurch entstehende Überprofilierung des Körpers dreht jedoch die Schulter samt Arm wieder nach innen, in die Opposition der gegnerischen Klinge. Das Handgelenk wird durch den Arm dominiert (das regelt die vertikale Bewegung), die Schulter durch die Drehung des gesamten Körpers (das regelt die horizontale Bewegung). Beides zusammen ergibt eine Kreisbewegung der Faust, bei der alle beteiligten Muskeln nur einfache Aufgaben durchführen müssen, und die deswegen maximal schnell ist.


Das letzte bisschen Sicherheit mit der Technik holen wir uns durch eine taktische Finesse. Wir verleiten den Gegner in zweiter Absicht zu einem Umgehungsstoß in’s Tempo. Dazu simulieren wir einen Bindungsversuch nach innen mit gleichzeitigem Schritt vorwärts. Diesen Schritt wählen wir so, dass wir dem Gegner nur so nahe kommen, wie für die Durchführung der Aktion maximal notwendig. Dadurch sparen wir uns die Zeit, aus einer Überraschung heraus die Quarta Bassa wählen zu müssen, und der Gegner muss die maximale Entfernung für seinen Angriff zurücklegen (auch das erkauft uns etwas Zeit).


Ob diese Aktion, trotz aller Eleganz und Finesse im Freigefecht ohne weiteres einsetzbar ist, muss sich zeigen. Gegen die extrem schnellen Sportfechter wäre ich vorsichtig. Beim etwas langsameren klassischen Fechten sehe ich gute Chancen. Der wichtigste Faktor dabei ist wohl die Übung: Wenn zu den technischen Vorteilen die Geschwindigkeit des Automatismus hinzukommt, hat man einen extrem unerwarteten und gefährlichen Gegenangriff.

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