Barbasetti's Säbel
- Christian Olbrich
- 9. Nov.
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 11. Nov.

Einen Degen haben wir schon, ein Florett auch, und um die drei Klassiker aus dem italienischen Fechten komplett zu machen hier jetzt die dritte Waffe in unserer Reproduktionsserie: Der Säbel!
Für die Italiener die Duellwaffe schlechthin, für uns heute eine tolle Alternative zu den schweren Kavalleriesäbeln in HEMA; Säbelfechten ohne dem modernen Äquivalent einer leichten Rüstung. Unser Fokus gilt heute der von Luigi Barbasetti 1899 beschriebenen Fechtwaffe, die sich - wie für Italiener üblich - kaum von der scharfen Waffe unterschied. [1][2]
Die Geschichte des italienischen Säbels
Die Erfolgsgeschichte des italienischen Duellsäbels beginnt Anfang des 19. Jh., und zwar damit, dass die Italiener einen Grund bekommen, sich nach fast 100 Jahren "Fechtpause" wieder zu duellieren: Napoleon überrennt Italien und bringt ein Vorurteil mit... Die Italiener wären nur halbe Männer, da sie weder die Ehre ihrer Frauen, noch ihre eigene verteidigen würden. Die Reaktion der Italiener ist eine 100 Jahre andauernde Duellwut, die gegen Ende des Jahrhunderts zu 89% mit dem Säbel ausgetragen wird. Warum der Säbel? Eine Theorie besagt, es wäre eine direkte Reaktion auf den Vorwurf der Unmännlichkeit. Denn welche für das Duell zugelassene Waffe wäre männlicher als eine militärische Waffe, bei der man dem Gegner unmittelbar gegenübersteht? Der Säbel räumt mit diesem Klischee viel besser auf als der zierliche Hofdegen der Franzosen... [3]

Parallel zum Duell spielt der Säbel aber auch im Krieg erstmal noch eine Rolle. Und hier entsteht in den frühen 1860ern eine echte Innovation. Dem Capitano Giuseppe Radaelli fällt auf, dass seine Kavalleristen ineffektiv sind. Zu häufig fallen die Hiebe flach aus, haben keinen Effekt. Als Problem identifiziert er die Fechtweise aus dem Handgelenk: Es lässt sehr freie Bewegungen zu, die aber eine Ausrichtung der Klinge erschweren. Hiebe aus dem Handgelenk waren zu der Zeit der Standard. Weil das Handgelenk selbst kaum Kraft entwickeln kann, waren die Waffen entsprechend schwer, um genügend Wucht entwickeln zu können.
Radaelli's Lösung war so einfach wie effizient: Er entwickelte eine Fechtweise, die den Drehpunkt in den Ellbogen versetzt. Diese erlaubt nur Beugung und Streckung, und die Schneide bleibt leichter in der Ebene des Hiebes. Durch den größeren Hebel lässt sich außerdem die Waffe leichter machen: Sie sinkt von über 1 kg auf nur noch 725 g. Das wiederum erlaubt, die Waffe leichter abzustoppen. Die technischen Möglichkeiten steigen. [4]

Radaelli's Fechtweise war in Italien allerdings nicht unumstritten, und wurde immer wieder angegriffen. Darauf werden wir hier nicht weiter eingehen, nur so viel sei gesagt: Es fiel schwer, gegen die Effizienz des neuen Systems zu argumentieren, und die neue Fechtweise wurde ein Exportschlager. So gelangte es 1894 schließlich mit Luigi Barbasetti auch nach Wien.
Zu dieser Zeit hatte sich der Säbel noch einmal deutlich verändert. Auf dem Schlachtfeld hatte er seinen Wert größtenteils verloren, trotzdem wurde er auf den Militärschulen weiter gelehrt. Der Fokus war jedoch ein anderer. Die Ausbildung sollte nun sicherstellen, dass die Offiziere ein Duell erfolgreich bestehen können.
Auch die Waffen hatten sich dem angepasst. Sie waren inzwischen deutlich leichter, mit einem Zielgewicht von 500-600g, egal ob scharf oder stumpf. Auch die Glocke hatte einige Änderungen hinter sich. Am Anfang stand das nach seinem Schöpfer benannte "Radaelli" Gefäß: Ein schlanker Faustbügel mit einem Ring zur Verstärkung. Dieser sollte den kleinen Finger vor Verletzungen im Training schützen, als die Trainingswaffen noch mehr als 700g wog [4]. In den Ringen verfing sich jedoch die Klinge, so dass sie aus Sicherheitsgründen mit dem Pecoraro-Design ersetzt wurde [5]. Die großen "Ohren" der Glocke erfüllten den selben Zweck, und dieses Modell war ausgesprochen beliebt in Italien. In Österreich setzte sich eine schlankere Glocke durch, die auch in Barbasetti's Buch dokumentiert ist: Einfach gehalten, auf leichte Klingen optimiert, und wenig Stellen, an denen sich die Klinge verfangen konnte.

Wie Waffe und Fechtweise zusammenspielen
Die italienische Säbelschule nach Radaelli hat also als zentralen Fokus die Ausrichtung der Schneide. Da verwundert es nicht, dass die Kernübung des italienischen Hieb-Stoßfechtens eine Übung zu eben diesem Thema ist. Wir sprechen natürlich von den Molinelli, große, geschwungene Hiebe, die Fechter und Klinge zu einer Einheit verschmelzen.

Alles im System ist darauf ausgerichtet, die Schneide in Hiebebene zu führen. Der Griff vor der Glocke ist flach und rauh. Dort wird der Daumen platziert, der die Schneide fühlt und führt. Und hier ist auch der erste Unterschied zu anderen Griffen. Für den Vergleich werde ziehe ich den Griff der Hanwei-Säbel heran, schlicht, weil er in HEMA für italienisches Duellfechten genutzt wird, und, weil ich ihn auch selbst besitze.

Die Daumenauflage des Hanwei sollte die gleiche wie in der Reproduktion sein, fällt jedoch etwas "runder" oder zumindest abgerundeter aus. Die Klingenausrichtung kann leicht schwanken. Die Reproduktion ist an der Stelle bewusst kantik gehalten und richtet die Schneide perfekt aus. Auch die Auflage selbst ist griffiger. Im Vergleich fällt außerdem auf, dass die Reproduktion einen sehr geraden Griffrücken besitzt, während der Hanwei eine Biegung nach unten vorweist. Der gerade Griff ist sehr typisch für die italienische Fechtweise, und hat seine Form aus zwei Gründen:
Zum einen spielt der Stoß im italienischen Säbel eine große Rolle. Das war ein nennenswerter Unterschied zu anderen Ländern wie z.B. Ungarn oder die deutschsprachigen Länder vor dem italienischen Einfluss. Dort war der Stoß im Duell oft verboten [6]. Wo er erlaubt ist, unterstützt der gerade Griff meiner Erfahrung nach den Stoß. Aus dem selben Grund ist übrigens die Klinge nur minimal oder gar nicht gekrümmt.
Zum anderen bevorzugt die Schule die Auslage in Second, was mit dem besseren Schutz der Hand begründet wird. Waffen mit gebogenem Griff haben meist eine Präferenz für die Terz, d.h. die Waffe dreht sich mit dem Faustbügel nach unten. So auch bei Hanwei. Das Original als auch der Nachbau führen sich in Second genauso natürlich wie in Terz.
Spannend wird es nochmal beim Gewicht. Barbasetti verschreibt mind. 500g für die Übungswaffe, und 500-600g für die scharfe Version [2]. Das Original wiegt knapp unter 500g, was wohl einer späteren Kürzung der Klinge, dem Austrocknen des Holzes sowie dem Rost anzurechnen sind. Mit billigem Plastikgriff liegt das Gewicht des Säbels mit Sportklinge bei 500g. Natürlich wiegt der Griff der Reproduktion mehr, Dank echten Stahl, Holz und Leder. Mit ihm kommt man auf 540g. Nimmt man noch die gekrümmte Klinge von IN MOTU, kommt man auf etwa 600g. Alle schwerer als das Original, aber noch alle in der Vorgabe der Quellen. Persönliche Präferenz also.
Der Schwerpunkt liegt bei der 540g Variante 3 cm vor der Klinge, und damit noch innerhalb der typischen Angaben von 2-5 cm (Barbasetti's Präferenz wäre 5 cm) [1]. Es gibt also einige Konfigurationen, die Sinn ergeben:
Gewicht und PoB wie Original. Plastik-Griff, Sportklinge. 500 g, PoB 5 cm vor der Glocke.
Form wie Original, Gewicht und PoB wie bei anderen italienischen Säbeln. Holz/Metallgriff, IN MOTU Klinge, 600g, PoB (noch) unbekannt, aber vermutlich 4-5 cm vor der Glocke.
Kompromiss. Holz/Metallgriff, Sportklinge, 540 g, PoB 3 cm vor der Glocke
Für mich persönlich ist die 540g Variante der beste Kompromiss zwischen Gewicht und Form. Der Säbel liegt fantastisch in der Hand, führt sich federleicht und überzeugt in der Ausrichtung der Schneide.
Ich sollte noch anmerken, dass der Säbel nur bedingt HEMA geeignet ist - er bietet zu wenig Platz für die riesigen Handschuhe, und weder Glocke noch Klinge sind auf Kavalleriesäbel mit 1 kg Gewicht ausgelegt. Es handelt sich eben um einen Duellsäbel, nicht um ein Kriegsgerät.
Bauweise. Oder: Wir denken zu kompliziert...
Ein wenig muss ich doch aus dem Nähkästchen plaudern... Ich finde es nämlich faszinierend, wie wir heute oft vor Problemen stehen, die damals ganz pragmatisch und einfach gelöst wurden.
Der größte Aufwand des Neubaus besteht darin, den Holzkern in die Cappuccio, dem Metallrücken des Griffs, einzupassen. Besonders in den hinteren, runden Abschluss. Was habe ich alles probiert... Durch glühend erhitzten Metallrücken die Form einbrennen, frei schnitzen, mit Kreide den Cappuccio markieren und beim einpassen schauen, wo Markierungen auf dem Holz verbleiben, usw. Hat alles nur mäßig funktioniert. Dann kam ich auf die Idee, meine Originale mal genauer zu untersuchen. Einer dieser hatte einen winzigen Spalt zwischen Holz und Cappuccio gebildet. Durch diesen kann man mit einer Nadel fühlen, was sich dahinter verbirgt.
Dahinter verbirgt sich... Nichts!

Die Hersteller damals hatten sich, bei diesem Modell (!), einfach gespart, den schwierigen Teil zu formen, und ihn direkt abgesägt. Ohne Angel lässt sich der Griff, soweit es der Ring vorne zulässt, einfach wie ein Schweizer Taschenmesser aufklappen. Die Angel hält alles zusammen. Clever!
Das spart eine Menge Arbeit. Trotzdem ist der Griff noch vergleichsweise aufwändig, weswegen ich ihn auch für meine Fechter nur sehr bedingt herstelle (die kommerziell verfügbaren Griffe reichen für die Basics vollkommen aus). Aber wie gewohnt: Wer möchte, bekommt von mir auf Anfrage Anleitung und 3D Modelle zum selbst nachbauen.
Bilder und Daten
Element | Original (gekürzt!) | Reproduktion |
Gesamtlänge | 102 cm | 104 cm |
Klingenlänge | 85,5 cm | 88 cm |
Gewicht | 490 g | 540 g |
Material | Stahl, Holz, Shagreen | Stahl, Holz, Ziegenleder |
Schwerpunkt | 5 cm vor der Glocke | 3 cm vor der Glocke |
Quellen
Luigi Barbasetti, "Das Stossfechten", 1900
Luigi Barbasetti, "Ehren-Kodex", 1908
Steven C. Hughes, "Politics of the Sword - Dueling, Honor, and Masculinity in Modern Italy", 2007
Settimo Del Frate, "Istruzione per Maneggio e Scherma della Sciabola", 1868
Pecoraro & Pessina, "La scherma di sciabola", 1912
Gustav Hergsells "Duell-Codex", 1897








