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Zwei Meister, zwei Paraden

Lassen wir einmal zwei Aussagen zweier Fechtmeister [1] zu der korrekten Durchführung der Parade auf uns wirken:


"Man sollte, wenn man kann, beim Parieren die Mensur brechen." Sr. de la Touche, 1670
"Den Fechter die Parade mit Schritt rückwärts ausführen zu lassen ist gleichbedeutend, ihn vom Gegner treffen zu lassen." Giovanni Pagliuca, 1880

Das ist doch schön, und man spürt unwillkürlich den Drang, beide Texte an die Wand zu werfen. Was davon ist nun richtig? Können wir diesen Widerspruch vielleicht sogar zu unseren Gunsten auflösen, ja, uns aussuchen, ob wir unsere Parade mit oder ohne Schritt rückwärts ausführen? Technik-Sammler würden genau so argumentieren: Paraden wurden historisch sowohl mit als auch ohne Schritt rückwärts ausgeführt, also bleibt es dem Fechter überlassen, was ihm besser liegt. Oder zumindest der Situation im Gefecht, denn beide Varianten haben ja ganz eigene Vor- und Nachteile.


Um dieses Paradoxon aufzulösen, lohnt es sich, einen genaueren Blick darauf zu werfen, wie genau diese Meister denn gefochten hatten. Und diese Fechtarten unterschieden sich schon deutlich: La Touche war ein Meister des Hofdegens, er gilt als der erste Fechtmeister, der eine eigenständige, französische Schule für die damals noch neue Waffe beschrieb. Bei Pagliuca befinden wir uns in der späten, klassisch italienischen Schule - mit der Spada als Signaturwaffe.



Warum der Schritt rückwärts bei La Touche nützlich ist


Kaum ein Meister beschreibt explizit, warum man einen Schritt rückwärts machen sollte oder eben nicht. Es scheint einfach "offensichtlich" gewesen zu sein - also müssen wir etwas "graben". Schauen wir uns einmal La Touche's Schule an.


Der Schritt rückwärts gibt mir mehr Zeit für die Parade. Das ist das Verkaufsargument der Parade mit Schritt rückwärts. Die Entfernung der Degenspitze zu meiner Brust verlängert sich, dadurch bekomme ich mehr Zeit und kann den Angriff leichter abwehren.


Der Ausfall ist extrem weit. Das Standbein und der Oberschenkel des Ausfallbeines liegen in einer Linie. Bei Stößen in Pronation wird sogar noch der Oberkörper nach vorne geworfen. Selbst der Fuß des Standbeines verbleibt nicht auf dem Boden, um so noch das letzte bisschen Reichweite herauszuholen. Dass das nicht nur künstlerische Ausschmückung ist, versichert uns La Touche in seinem Text selbst. Die Abbildungen mögen übertrieben wirken, aber er würde solche Ausfälle tatsächlich so von seinen Schülern verlangen.

Abbildung aus La Touche's Fechtbuch. Ein Fechter führt einen extrem langen Ausfall durch.
Ausfall nach La Touche.

Dieser typisch französische Ausfall hat jedoch ein Manko: Er macht die Rückkehr in die Fechtstellung viel schwerer und langsamer. Für mich als Verteidiger bedeutet das, dass ich mehr Zeit für meine Parade-Riposte habe. Denn meine größte Sorge ist, dass der Gegner wieder komplett aufgestanden ist, wenn ich in die Riposte übergehe - denn dann ist er, dank meinem Schritt rückwärts, potentiell außer Mensur. In jedem Falle, muss man feststellen, ist jeglicher Vorteil der Riposte verlorengegangen. Wenn er jedoch lange für die Rückkehr in die Fechtstellung braucht, dann spricht wenig gegen einen Schritt rückwärts mit der Parade.


Riposten sollten erst mit dem Aufstehen des Gegners durchgeführt werden. Dadurch kann ich sichergehen, dass der Gegner seine offensiven Absichten auch tatsächlich beendet hat und keine überraschende, wenn auch riskante, Rimesse mehr folgt. Auf der anderen Seite bedeutet das, dass mir eine frühe Parade gar nichts bringt. Ich müsste ohnehin warten, bis der Gegner wieder aufsteht. Da kann ich auch einen Schritt rückwärts mit der Parade machen und dadurch mehr Zeit zur Verteidigung gewinnen.


Von Kreisparaden oder Wechelparaden wird abgeraten. Sie wären zu langsam und dadurch riskant. Stattdessen empfiehlt La Touche, sich auf direkte Paraden zu beschränken. Das aber wird zum Problem wenn der Gegner fintiert: Vorhersagbare Paraden führen zu effizienten Finten. Und wenn man etwas vermeiden möchte, dann stehenden Fußes einen Stoß zu parieren, der sich am Ende als Finte entpuppt - denn dann bin ich mit Sicherheit getroffen. Es wäre also gefährlich für La Touche, im Stand zu parieren. Der Schritt rückwärts gibt ihm die Möglichkeit, auf eine Finte noch rechtzeitig mit einer zweiten Parade zu reagieren.



Warum der Schritt rückwärts in der klassisch italienischen Schule schädlich ist


In italienischen Kreisen stößt die Parade mit Schritt rückwärts auf Unverständnis. Die meisten Fechtmeister erwähnen diese Möglichkeit gar nicht, sondern beschreiben die Parade ganz selbstverständlich als eine reine Klingenaktion. Wenn darauf eingegangen wird, dann wird der Schritt rückwärts als ein grober, technischer Fehler gehandelt. Warum?


Die Parade im Stand beschleunigt die Riposte. Eine kleine Bewegung des Armes und der Hand genügen, schon kann die Riposte beginnen. Als Ideal gilt, die Parade beendet zu haben und die Riposte einzuleiten, bevor der Fuß des Gegners im Ausfall den Boden berührt. Eine solche Riposte ist kaum parierbar.


Freie Riposten werden bevorzugt. Nehmen wir einmal die Riposte nach der Terz als Beispiel. Die eigene Klinge wird von der gegnerischen gelöst, man wechselt mit der Faust und der Klinge unter der gegnerischen hindurch und führt die Riposte auf der Innenseite, etwas unter der Achsel, aus. Habe ich mit Schritt rückwärts pariert, dann ziehe ich mir dadurch fast zwangsläufig die gegnerische Spitze auf die eigene Brust. Pariere ich aber im Stand, dann ist die Spitze auf meiner Außenseite passé: Ich kann gefahrlos die Klinge lösen und die Riposte durchführen.


Abbildung aus Barbasetti's Fechtbuch. Ein Fechter ripostiert frei aus der Terz, die gegnerische Klinge ist dabei passé.
Freie Riposte aus der Terz.

Die Waffenlagen vereinfachen die Vorhersage des Angriffs. Einladungen und Bindungen sind weniger subtil, schließen jedoch die Treffflächen derart effizient, dass praktisch jede verbleibende Parade jede offene Trefffläche deckt. Das bedeutet, dass ich die Parade nicht abhängig vom Angriff wählen muss, sondern eine beliebige dazu nutzen kann. Damit bin ich schneller in der Parade, und der Schritt rückwärts zum Zeitgewinn wird unnötig. In der regulären Fechtstellung, im gestreckten Lager, schließe ich die oberen Trefffläche und zwinge den Gegner zu Angriffen auf meine Klinge - dadurch bekomme ich schon beim Ansatz des Angriffs eine gute Vorstellung davon, wo dieser enden wird.


Kreis- und Halbkreisparaden verhindern Finten. Anders als bei La Touche spielen Kreis- und Halbkreisparaden im späten Italien eine wichtige Rolle. Durch die vorteilhafte Waffenlage entsteht eine extrem schnelle Parade und der Gegner hat keine Zeit, bei seiner Finte die Art meiner Parade rechtzeitig zu erkennen. Wechsle ich nun Paraden im Uhrzeigersinn mit Paraden gegen den Uhrzeigersinn, dann ist es sehr schwer, eine zuverlässige Finte zu konstruieren. Die größte Gefahr der Parade im Stand - die Finte - ist damit gebändigt.



Fazit

"Context matters!" Matt Easton, jedes zweite Video [2]

Machen kann man vieles, aber nicht alles macht überall Sinn. Ob man eine bestimmte Fechttechnik in sein Repertoire aufnehmen sollte oder ob die Zeit nicht besser angelegt ist, andere Aktionen zu perfektionieren, sollte man sich gut überlegen. Genauso sollte man evaluieren, wie man die Techniken am besten ausführt. Und abhängig von meinem restlichen System sollte man mit der Parade stets einen Schritt rückwärts nehmen - oder eben nie.


 

Quellen:

  1. Philibert de La Touche, 1670, "Les Vrayes Principes l'espee seule", und Giovanni Pagliuca, 1880, "Cenni di critica sul sistema di scherma Redaelli".

  2. Matt Easton ist ein wandelndes Lexikon in Sachen britische Fechtgeschichte, insbesondere für den Säbel. Wenn nur ein einziger Satz aus seinen Videos hängen bleiben sollte, dann dieser: "Context matters!".

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