
Wer italienische Fechtwaffen mag, der wird Barbasettis Florett lieben.
Dass ich das so schreiben würde, dachte ich, als ich nach meinem Degenprojekt mit diesem Florettprojekt begann, selbst nicht. Verwöhnt durch unsere hervorragenden passauer Stoßwaffen hatte ich mich eigentlich auf ein ernüchterndes Ergebnis eingestellt. Doch wie so oft: Die Meister damals wussten schon, warum sie ihre Waffen so wollten, wie sie waren.
Ich präsentiere heute meine Reproduktion des Floretts aus Barbasettis "Das Stossfechten", 1900 [1]. Fechtlehrern, die sich für diese Waffe für ihren eigenen Verein interessieren, stelle ich gerne die 3D-Modelle sowie eine detaillierte Anleitung zur Verfügung.
Die Geschichte der italienischen Spada

Über das 18. Jh. stirbt das Fechten in Italien - mit Ausnahme von Piemont - langsam aus. Der Hofdegen findet nie richtig Einzug, die vorherrschende Waffe war bis dato das Rapier.
Ende des Jahrhunderts überrennt Napoleon Italien. Er bringt nicht nur das Fechten mit - er gibt den Italienern auch gleich einen Grund, sich zu duellieren: Diese haben inzwischen nämlich ein Image-Problem: "Die duellieren sich nicht, schützen weder die Ehre ihrer Frauen noch ihre eigene - das sind ja nur halbe Männer!" Was folgt, ist eine Duellwut der Italiener, die sich bis ans Ende des 20. Jh. halten sollte. [2]

Doch das "italienische Fechten" gab es ja nicht mehr! Da ist es nicht verwunderlich, dass die Italiener zunächst französisch fochten. Aber schon bald zeichnet sich der Wunsch nach einer eigenen Fechtweise, nach einer eigenen Waffe ab, die der Glorie der italienischen Rapier-Vergangenheit entspricht. Den Startschuss dafür gaben 1803 Rosaroll Scorza & Grisetti: Sie beschreiben in "La Scienza della Scherma" eine italienische Fechtweise, nicht mehr mit Rapier-, sondern mit Degenklingen, dafür mit einer eigenen Waffe, bei der die Verwandtschaft mit dem späten italienischen Rapier noch sehr gut sichtbar ist [3]. Die Waffe ist verglichen mit den späteren Stoßwaffen, auch mit Barbasettis, noch recht schwer: 680 g bringt ein historisches Original auf die Waage [4]. Sie besitzt auch noch einen Faustbügel, ein Bauteil, dass sich zwar ebenfalls bis zum Ende des Jahrhunderts halten sollte, aber tendenziell immer seltener werden würde. Der Versuch, einiger Fechtmeister, eine französisch-italienisch gemischte Schule zu etablieren, setzt sich letzten Endes nicht durch.

1884 wird die Standard-Stoßwaffe der Italiener in Stein gemeißelt: Masaniello Parise gewinnt - nicht unumstritten - den staatlichen Wettbewerb zur offiziellen, italienischen Fechtweise für Florett und Säbel [7]. Einiges hatte sich in den vergangenen 80 Jahren geändert, für die Waffe nicht weniger als für die Fechtweise. Ein Detail aus der alten Zeit, das sich jedoch hartnäckig hielt, war das sog. Rivettino. Dabei handelt es sich um einen nach oben gebogenen Teil der Glocke, der Angriffe auf die Hand erschweren sollte. Für das Florett freilich weniger relevant, war es außerordentlich nützlich für das Duell. Man findet es bis Anfang des 20. Jh. erwähnt. [5]
Für das Florett lassen sich zwei Dinge beobachten: Die Fechtweise wird vereinfacht, es gibt weniger Aktionen, diese jedoch bekommen einen festen Platz im System und sind dann dort auch nicht mehr entbehrlich. Und die Waffe wird leichter. Gegen 1900 sind wir bei einem Gewicht von ca. 450 g für die Übungswaffe angekommen. [1]
Wie Waffe und Fechtweise zusammenspielen
Der Hauptvorteil des italienischen Floretts liegt ohne Zweifel in der Stabilität, die man über den tiefen Griff mit den ersten drei Fingern bekommt. Verglichen mit den französischen Fechtwaffen der Zeit muss man sich keine Sorgen um eine Entwaffnung machen. Das wiederum erlaubt die Stellung im "gestreckten Lager", denn ich muss keine Angst haben, dass der Gegner mir die Waffe mit einem Froissement oder Sforzo aus der Hand schleudert. Auch die Glocke ist auf diese Fechtstellung ausgelegt: Anders als das winzige, französische Stichblatt bietet sie noch einen vernünftigen Schutz für die Hand. Aber auch dem Oberkörper dient die Glocke... Weit vorne gelagert reicht ihr kleines Schild aus, um den gesamten Körper zu schützen.

Die Waffe ermöglicht dem italienischen Fechter also eine Auslage, die ideal auf seine Fechtweise ausgelegt ist. Die Klinge weit vorne erzwingt eine Klingenbeseitigung vor einem Angriff (was bei angewinkeltem Arm nicht immer notwendig ist), und erlaubt die schnellstmöglichen Angriffe, da die Spitze einen Teil des Weges zum Gegner schon zurückgelegt hat. Zusätzlich hilft dem Fechter, dass die italienische Waffe mehr ihrer Länge in die Klinge investiert als ihr französisches Gegenstück: Italienische Florette waren ca. 3 cm länger. Die Fehlschärfe, das Ricasso, gibt dem Fechter ein feines Gefühl an der Klinge. Er spürt genau, was der Gegner macht und wann der Zeitpunkt für einen Tempostoß ideal ist.
Der gerade Griff erlaubt gleich effizientes Arbeiten in Pronation und Supination. Besonders die späte, schlanke Version des Griffs unterstützt dies im gestreckten Lager. Anders als der Franzose kann der Italiener dadurch auch die Paraden in Pronation, also Terz und Second, nutzen, während der Franzose dazu eher auf die schwächeren Sixt und Oktav zurückgreift. Warum schwächer? Durch Pronation außen, Supination innen ist der Daumen, der auf die obere, äußere Kante des Ricassos gelegt wird, stets der gegnerischen Klinge entgegengesetzt. [6]
Reiz des Floretts: Trainieren wie die Duellisten
Das Duell zu simulieren macht Spaß, denn schließlich ist dass das ultimative Szenario für das Fechten "als wäre die Waffe scharf und spitz". Leider ist das nur bedingt möglich, denn das Gefühl, für einen Fehler sprichwörtlich bluten zu müssen, kann man nicht nachstellen, und damit auch nicht, wie man dann fechten würde. Dazu kommt, dass Armtreffer vor 1880 nicht effektiv trainiert werden konnten, so dass man sich im Duell weniger Gedanken um diese machen musste (sie waren schon präsent, aber die gefürchteten "Hand-Sniper" gab es eben noch nicht). Gegner mit anderen Fähigkeiten verlangen eine andere Fechtweise, so dass es schwierig ist, die Situation der damaligen Zeit heute realistisch zu simulieren.

Aber so trainieren, wie die Duellisten damals trainierten, das können wir! Und damit können wir uns im klassischen Fechten dem Vorbild, nämlich dem Duellisten, tatsächlich viel weiter nähern als z.B. dem Ritter im Schwertkampf. Denn anders als der Ritter war es beim Duellanten eher die Regel als die Ausnahme, vor der scharfen Prüfung nur mit der Übungswaffe gefochten zu haben. Und für dieses Stück nachgelebte Geschichte brauchen wir uns um Handtreffer keine Gedanken zu machen... Denn die sind im Florett schlicht nicht erlaubt.
Wie schlägt sich Barbasettis Florett?

Meine Skepsis galt in erster Linie dem Schwerpunkt. Der lag damals praktisch immer 3-4 Finger vor der Glocke, und das macht die Waffe deutlich klingenlastiger als unsere passauer Florette. Der ultimative Test in dieser Hinsicht ist die Kreis-Quartparade. Für sie existiert taktisch keine Alternative - mit ihr steht und fällt das taktische Konstrukt der späten italienischen Florettschule. Da sie im Stand ausgeführt werden muss, ist es zwingend notwendig, sie schnell ausführen zu können. Die Fechtwaffe muss das unterstützen.
Ein Schwerpunkt nahe der Glocke sollte eine Kreisparade unterstützen. Barbasetti's Waffe sollte dank dem weiter vorne liegenden Schwerpunkt daher schlechter abschneiden. Tatsächlich ist es genau anders herum: Das geringere Gesamtgewicht der Waffe sorgt für eine schnellere Kreisparade. Dazu kommt sehr viel Platz zwischen Glocke und Parierstange, was einen optimalen Hebel des Mittelfingers an der Parierstange ermöglicht. Dieser Hebel spielt eine Schlüsselrolle beim Starten der Kreisbewegung.
Der schlanke Griff ermöglicht ein sehr schnelles Wechseln zwischen Pronation und Supination, sowie eine sehr gerade Ausrichtung der Klinge zum Arm in Pronation. Das unterstützt die gestreckte Auslage der Italiener. Die Waffe ist extrem schnell und wendig!
Bilder und Daten
Element | Original [1] | Reproduktion |
Gesamtlänge | 108 cm | 108 cm |
Klingenlänge | 90 cm | 90 cm |
Gewicht | 450 g | 440 g |
Länge Ricasso | 5,5 cm | 5,5 cm ("falsches" Ricasso) |
Glocke Durchmesser | 12 cm | 12 cm |
Material | Glocke, Parierstange und Knauf aus Stahl, Griff aus Holz und Fischhaut, Glockenpolster aus Leder mit Rosshaar gefüllt. | Glocke, Parierstange und Knauf aus Stahl, Griff aus Holz und Ziegenleder, Glockenpolster aus Leder mit Rosshaar gefüllt. |
Schwerpunkt | Keine Angabe, italienische Florette jedoch einheitlich bei 3-4 Fingern vor der Glocke | 3 Finger vor der Glocke |
Quellen
Luigi Barbasetti, "Das Stossfechten", 1900
Steven C. Hughes, "Politics of the Sword - Dueling, Honor, and Masculinity in Modern Italy", 2007
Rosaroll Scorza, Grisetti, "La scienza della scherma", 1803
Christopher Holzman, "The Science of Fencing", 2018, Übersetzung von [3]
Primo Tiboldi, "La scherma di fioretto", 1905
Alberto Cougnet, "La Scherma di Spada", 1894
Masaniello Parise, "Trattato teorico pratico della scherma di spada e sciabola", 1884
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