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AutorenbildChristian Olbrich

14 Gefechtstipps von Ferdinando Masiello, 1887

Aktualisiert: 29. Juni 2022


Maestro Ferdinando Masiello, 1887
Ferdinando Masiello

Letztes Jahr zu dieser Zeit schlug ich 9 Fechterische Vorsätze für 2021 vor. Für 2022 gebe ich einem "fechterischen Superstar" der damaligen italienischen Fechtwelt das Wort und präsentiere 14 Hinweise zum Freigefecht, die Ferdinando Masiello uns hinterlassen hat [1]. Dem gewissenhaften Fechter wird es nicht schwerfallen, einen Punkt zu finden, dem er 2022 besondere Aufmerksamkeit schenken möchte.


Ohne nun weiter vom eigentlichen Thema abzulenken: Hier sind Maestro Masiello's wichtigste Tipps zum Gefecht. Wie viele hattet ihr auf dem Radar?


1. "Einen Gegner der gut pariert greife selten an."

Ein grundlegender Tipp für das Gefecht. Jeder Fechter hat seine Stärken und Schwächen, und eine valide Strategie (die heute besonders im Sportfechten stark praktiziert wird) ist, den Gegner dazu zu zwingen, so zu fechten, dass ich meine eigenen Stärken ausspielen kann. Auf den Umkehrschluss zielt dieser Hinweis ab: Wenn mein Gegner sich auf die Parade-Riposte spezialisiert hat, gebe man ihm selten die Möglichkeit dazu, sondern verlocke ihn stattdessen selbst zum Angriff.


2. "Einen Gegner der stark und schnell im Angriff ist, greife an."

Dies ergibt sich praktisch aus dem ersten Tipp. Wenn mein Gegner im Angriff stark ist, muss ich ihn in die Defensive drängen, und ihm selten Gelegenheit geben, selbst anzugreifen. Man soll hier Feuer mit Feuer bekämpfen!


3. "Gegen den Tempofechter, arbeite mit Kontrotempo-Aktionen."

Ein Tempofechter ist ein solcher, der wann immer möglich Aktionen ins Tempo durchführt - eine Spezialität der italienischen Schule. Für den, der sie nicht gewohnt ist, und treffen möchte, ohne getroffen zu werden, sind diese Aktionen meist sehr irritierend. Unter Kontrotempo-Aktionen versteht Masiello allgemein all solche Aktionen, die gegen eine Aktion ins Tempo zum Einsatz kommen. Diese sind oft selbst Tempostöße, und damit wird auch hier wieder Feuer mit Feuer bekämpft. Ein Beispiel: Man führt eine Bindung in Quart aus und transportiert die gegnerische Klinge in die Second. Der Gegner führt hier in die Übertragungsbewegung einen Umgehungsstoß aus - das ist der Stoß ins Tempo. Statt nun die Übertragung abzubrechen und eine Parade zu versuchen, führt man ein Passata Sotto durch, ein Abtauchen mit Gegenangriff - das ist die Kontrotempo-Aktion. Solche Aktionen werden meist schon im Vorfeld geplant und damit in zweiter Absicht durchgeführt.


4. "Gegen Fechter, die mit Kreisparaden parieren, führe viele Kreisumgehungen aus."

Kreisparaden sind ein sehr effizientes Mittel, um dem Gegner Finten zu erschweren - Aldo Nadi führt an, dass manche erfolgreiche Fechter ihre Verteidigungsstrategie auf wenig andere Paraden basieren [2]. Die Antwort auf diese Strategie ist einfach: Die Umgehung nach der Finte muss in die entgegengesetzte Richtung durchgeführt werden, gegen den "Propeller" helfen wiederholte Umkreisungen, bei denen sich die Spitze dem Gegner immer weiter nähert.


5. "Gegen Fechter, die direkt parieren, führe Finten aus."

Selbsterklärend, jedoch mit der italienischen Fechtphilosophie tiefer erklärbar. Die italienische Schule basiert ihre Lehre auf den geraden Stoß. In einer perfekten Welt gäbe es keine Paraden, Finten wären unnötig. Aus dieser Sicht und der Vollständigkeit halber macht es daher Sinn, die taktische Antwort auf die Parade des Gegners nochmals zu formulieren. Auch wenn dieser Punkt für die meisten Fechter nicht überraschend sein dürfte.


6. "Gegen jene, die mit gerne mit Rimessen oder der Appuntata arbeiten, ripostiere schnell."

Wer kennt das nicht? Plötzlich steht man im Gefecht da, man hat gerade einen - vielleicht zusammengesetzten und besonders cleveren - Angriff des Gegners pariert... und zwar überraschend, auch für einen selbst. An Riposte ist erstmal nicht zu denken, der Verstand hatte der Möglichkeit, diesem Angriff zu entgehen, schon ab der Mitte der Aktion keine Wahrscheinlichkeit mehr eingeräumt. Genau dort setzt der Gegner nun seine Rimesse. Oder man hat pariert und möchte möglichst raffiniert mit einer zusammengesetzten Riposte antworten - doch der Gegner riecht die Lunte, und statt wie erwartet zu parieren setzt dieser die Klinge im Ausfall wieder auf die Trefffläche und stößt nochmal nach - eine Appuntata. Hat man einen solchen Gegner vor sich hilft nur eines: Nicht zögern, ripostieren. Sofort, und ohne Umschweife. Das verbrennt die Rimesse und Appuntata des Gegners zu einem selbstmörderischen Risiko, dass dieser nun nicht mehr eingehen kann.


7. "Störe jene, die viele Finten durchführen, mit Kreisparaden und Arrêt-Stößen."

Und dann gibt es noch diese Fechter, die den Rhythmus einfach nur "drin" haben. Die einen mit 3-, 4-, 5-, 6-fach Finten ans Ende der Fechtbahn jagen und man erwischt einfach ihre Klinge nicht. In dem Fall liegt das vielleicht auch daran, dass die "Scheibenwischer"-Paradestrategie angewandt wird, und der Gegner seine Klinge fast blind durch die richtig getaktete Pendelbewegung entziehen kann. Eine einfache Antwort: Mal eine Kreisparade in den Ring werfen! Die zerstört den Bewegungsfluss und stoppt die Finten zuverlässig. Oder etwas aggressiver und gleich einen Arrêtstoß hineinsetzen. Besonders in der italienischen Fechtschule vor der expliziten Unterscheidung zwischen Florett und Degen versteht man unter Arrêtstößen auch klassische Sperrstöße. Diese strategische Maßnahme ist eine der Gründe, warum mehr als drei Finten als unrealistisch - sprich gefährlich - angesehen wurden.


8. "Gegnern, die gewöhnlich Stöße mit Bindung durchführen - wie Gleitstöße, Copertini, etc. - sollte man keinen Kontakt mit der Klinge gewähren."

Dieser Tipp ist ähnlich zu den ersten beiden: Dem Gegner das Element zu nehmen, das ihm die besten Chancen zum Treffer einräumen. Gerade in der italienischen Schule sind Angriffe auf die Klinge sehr effizient durchführbar, das ist einfach dem gestreckten Lager der italienischen Fechtstellung geschuldet. Wie man dem Gegner nun den Kontakt mit der eigenen Klinge entzieht, dafür gibt es verschiedene Strategien. Man kann die Lage der Klinge wechseln - von innen nach außen, von hoher in die tiefe Linie. Man kann auch eine Einladung nehmen. Oder man stellt sich mit stark gebeugten Arm, wie man es heute im Sportfechten kennt, in die Fechtstellung. In jedem dieser Fälle verhindert man, dass dem Gegner ein stabiler Klingenkontakt, die Voraussetzung für feste Stöße, gelingt.


9. "Gegen Gegner, die stark in den Battuten und Schleuderbattuten sind, agiere mit Tempostößen."

Die Battuta, besonders die Schleudervariante, ist ein starker Klingenangriff. Richtig durchgeführt entfernt sie die Klinge so weit, dass dem Gegner praktisch nur der Rückzug in die weite Mensur als Verteidigungsmaßnahme bleibt. Aber sie muss korrekt durchgeführt werden. Der kleinste Fehler, besonders das Ausholen vor dem Schlag oder dem Start der Aktion aus zu großem Klingenabstand kehrt den Vorteil um: Sie ermöglichen den Stoß ins Tempo. Man sieht den Schlag kommen, weicht der Klinge geschickt aus und verknüpft dies mit einem Angriff mit Ausfall. Der Gegner findet die Klinge nicht, stattdessen findet sich seine eigene Klinge im Nirgendwo wieder - zu weit weg, um noch rechtzeitig die Notparade nehmen zu können.


10. "Vermeide Kreisparaden in der mittleren Mensur, führe sie stattdessen in der weiten Mensur aus."

Für diesen Tipp muss man wissen, dass das Ideal der italienischen Fechtschule die Parade im Stand wann immer möglich vorschreibt. Versucht man jedoch die Kreisparade im Stand, wird man bei schnellen Fechtern rasch an seine Grenzen kommen, denn die Kreisparade ist einfach langsamer als die Direkte. Der Tipp, diese nur dann durchzuführen, wenn man etwas weiter weg steht, macht also Sinn. Im etwas moderneren Kontext führt man die Parade einfach mit einem Schritt rückwärts durch, mit dem selben Effekt.


11. "Gegen Fechter, die Kreis- und einfach parieren, führe Kreisstoßfinten aus."

Masiello empfiehlt, wann immer möglich, auf Finten mit einer Kreisparade zu reagieren, und die einfache Parade für die Schlussparade aufzuheben. Dem liegt die Rationale zugrunde, dass wir bei der Finte noch mehr Zeit haben (da sie ja noch nicht ernst gemeint ist), den Endstoß jedoch so schnell wie möglich parieren möchten, um schnell ripostieren zu können. Trifft man auf einen solchen Gegner, kann man seine Paradebewegungen zuerst durch einen Kreis, und dann durch eine normale Cavation umgehen.


12. "Gegen jene, die stattdessen zuerst einfach, dann kreisparieren, führe zuerst eine einfache Finte, dann eine Kreisstoßfinte durch."

Wenn wir schon bei nützlichen Hinweisen sind: Eine Basis-Strategie die besonders für den Degen oft empfohlen wird ist die Kombination "direkte Parade, Kreisparade". Die direkte Parade ist gegen den einfachen Angriff gedacht, sie ist schnell und ermöglicht eine flotte Riposte. Schlägt sie fehl sind wir einer Finte auf den Leim gegangen, und die folgende Kreisparade fischt sämtliche Endstöße heraus. Wenn ich mir dieser Strategie bewusst bin entdecke ich sie schneller bei meinem Gegner, und die logische Umgehungsbewegung dagegen ist eine Doppelfinte, zuerst mit einer einfachen, danach mit einer Kreisumgehung.


13. "Diejeningen, die Schlag- oder Schleuderparaden durchführen, besiege mit einer schnellen und einfachen Finte."

Ist der Klingenschlag, die Battuta, schon mächtig, dann ist die Aktion als Parade umso gefährlicher. Denn gelingt sie, ist nicht nur die angreifende Klinge weit entfernt, nein, der Gegner befindet sich zudem noch in einer ungünstigen, nach vorne geneigten Stellung. Aber auch die Risiken der Battuta erhöhen sich drastisch: So sehr, dass die Schlagparade von Barbasetti lediglich zu Schulungszwecken empfohlen wird. [3] Findet sich dennoch ein Gegner, der sie einsetzt, stellen wir uns ihm mit schnellen und einfachen Finten. Denn nach einer fehlgeschlagenen Schlagparade ist die Klinge zu weit weg, um noch eine zweite Parade schnell genug nehmen zu können.


14. "Gegen solche, die beständig mit der Mezzocerchio parieren, umgehe die Parade und ende die Aktion in der Flanke."

Man könnte meinen dieser Hinweis sei explizit für nicht-italienische Fechter bestimmt, denn die Mezzocerchio ist für diese eher ungewohnt. Die Mezzocerchio nach Ferdinando Masiello kann man sich als "hohe Septim" vorstellen, wobei der Arm in der Endstellung komplett gestreckt ist und sich die Waffe in einer Linie mit diesem befindet. Sie wird regulär aus der Second, kann aber auch aus der Terz-Auslage bzw. Einladung durchgeführt werden und ist in diesem Fall besonders überraschend. Sie deckt die Flanke vollständig auf, mit der Mezzocerchio rechnend sollte man diese Trefffläche daher für den Endstoß anvisieren.


Zwei Fechter führen die Mezzocerchio-Parade nach Masiello, 1887, aus.
Die Mezzocerchio-Parade nach Masiello
 

Quellen:

  1. Ferdinando Masiello's Fechtbuch im italienischen Original: https://archive.org/details/laschermaitalian00masi

  2. Aldo Nadi, einer der erfolgreichsten Fechter in der Geschichte des Sportfechtens, beschreibt die Kreisparade als einen Eckstein der Defensive in seinem Buch "On Fencing" (1943).

  3. Luigi Barbasetti erkennt zwar das Potential der Schlagparade, empfiehlt sie aufgrund ihrer Risiken jedoch nur zu Schulungszwecken oder in bestimmten taktischen Situationen. "Das Stossfechten", 1900.

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