Neues Jahr, neues ich! Sicher habt ihr für das neue Jahr fechterisch ganz eigene Ziele. Es würde mich wundern, wenn es einen Fechter gäbe, der sich nicht vornehmen würde, am Ende des Jahres ein besserer Fechter zu sein als die Jahre davor. Aber so generelle und abstrakt formulierte Ziele lassen sich dann doch sehr schwer auch tatsächlich umsetzen... Denn wo fängt man an, wenn man einfach "besser" werden will? Wenn ihr Inspiration für konkretere Ziele sucht, seid ihr hier richtig. Denn wem für 2021 noch gute Vorsätze fehlen, für den haben wir hier ein paar Vorschläge, die nicht nur kurzweilig sind und uns fechterisch weiterbringen, sondern sich - im Gegensatz zu so manch anderem Vorsatz - auch vom Aufwand in Grenzen halten.
Also los geht's, hier sind unsere guten Vorsätze für 2021!
1. Kein Gefecht abschlagen
Fangen wir gleich mit meinem persönlichen Ziel aus dem Vorjahr an: Keine Forderung nach einem Freigefecht abschlagen. Es kommt ja doch öfter vor, dass man nach der Trainingsstunde (oder an dem Tag generell) einfach mal fertig ist. Oder noch was im Anschluss vor hat - auch wenn's nur das kühle Getränk danach ist. Wer hier aber nach dem Grundsatz "ein Gefecht bei jeder Gelegenheit" lebt, der wird deutlich von der Duell-Wut seiner Fechtkameraden profitieren. Und es muss ja nicht immer ein Gefecht mit dem starren Ziel der meisten Treffer sein (mehr dazu in einem anderen Punkt) - auch ein Übungsgefecht mit persönlichen Zielen kann sich lohnen.
2. Ein Fechtbuch lesen
Wer mich kennt weiß: Ich bin ein großer Freund der Fechttheorie. Und das hat seinen Grund, denn nur mit dem richtigen Überblick über die Fechtkunst lässt sich diese maximal effizient einsetzen. Außerdem findet man fast immer den einen oder anderen Punkt, der sich relativ schnell und einfach umsetzen lässt: Entweder eine eigene Effizienzverbesserung, oder ein häufiges Problem, das man bei seinem Gegner ausnutzen kann. Beim Fechten gilt: Ein bisschen Wissen ist ein gefährliches Ding. Oder besser: Ein bisschen Wissen macht den Fechter erst richtig gefährlich für seinen Gegner.
Und Bücher gibt es gerade für den klassischen Fechter zuhauf. Die alte Literatur findet sich in Deutsch, Französisch, Italienisch oder Englisch aufgrund des Alters meist frei und legal im Internet. Und gute Fechtbücher zum modernen Sportfechten analysieren unübertroffen muskuläre Zusammenspiele, taktische und strategische Vorgehensweisen und Trainingstechniken, die für den klassischen Fechter zum größten Teil direkt übernehmbar sind.
3. An der eigenen Beinarbeit feilen
Gleich mit 4x die Woche eine Stunde lang Beinarbeit starten? Bloß nicht, denn dann hält der gute Vorsatz genau das erste Training lang. Stattdessen schlage ich 1x die Woche, 20 Minuten, vor. Denn das Ziel ist erst mal, Spaß am Beinarbeits-Training zu haben (ja, das geht!). Das muss auch noch kein ausgeklügelter, bis in's Letzte ausgefeilter Trainingsplan sein. Überlegt euch, was euch an eurer Beinarbeit am meisten stört, lasst euch ein paar Übungen dazu einfallen (auch gerne mit Hilfe eurer Trainer), und legt los. Wir wollen erreichen, dass das Beinarbeits-Training zur gewohnten Routine wird. Sobald das der Fall ist, könnt ihr weiter am Trainingsplan feilen und die Frequenz oder Dauer erhöhen. Und auch mit 20 Minuten pro Woche summieren sich über 17 Stunden zusätzliches Beinarbeitstraining im Jahr auf - und auch das hat einen Effekt.
Das Resultat kann durchaus eine Verbesserung in allen Bereichen eurer Fechtkunst sein. Denn die Beinarbeit ist die Voraussetzung für die saubere und effiziente Durchführung der Waffenarbeit. Besonders beim klassischen Fechten im Sportverein wird die Beinarbeit jedoch gerne vernachlässigt (was historisch sogar akkurat ist). Dennoch: Wenn ich Paraden in meiner Schule mit Schritt rückwärts ausführe, dann wird die Riposte nach Schritt zurück & Parade schwierig, wenn ich nicht schnell genug die Richtung wechseln kann. Und wenn ich nach dem Schritt vor ähnliche Probleme habe, laufe ich in Gefahr, bei gegnerischen Angriffen nicht schnell genug Abstand gewinnen zu können. Übrigens: Tipps zum Training daheim gibt's hier.
4. Ein Dehnprogramm starten
Wenn dieser Punkt nicht für einen guten Vorsatz prädestiniert ist, dann weiß ich auch nicht weiter. Dehnen ist immer eine Langzeitgeschichte, von dem her bietet es sich als Projekt über das gesamte Jahr an (idealerweise mit Weiterführung danach). Auch hier gilt: Das Programm muss in den Rest des Alltags passen. Es gibt sehr gute Dehnprogramme online, bei denen man sich allerdings bewusst sein muss, dass diese auch eine entsprechende Zeitanforderung stellen. Unsere Fechter können auf meine persönliche Dehnroutine zurückgreifen, die 2x die Woche 20 Minuten kostet - das ist verkraftbar und ein guter Kompromiss zwischen Aufwand und Resultat. Wie in allen physikalischen Projekten empfehle ich natürlich auch hier, eure Trainer in euren Sportvereinen zu konsultieren.
Der Gewinn ist dafür ebenfalls sehenswert. Je nachdem, wie es um die Dehnungsfähigkeit anfangs bestellt ist, kann ein Florettfechter hier eine gesamte Fußlänge an Ausfallweite hinzugewinnen. Für die Reichweite hätte ich zuvor einen Schritt mit Ausfall hinlegen müssen. Wenn euer Gegner diese Dehnbarkeit nicht besitzt, dann ist das so, als würdet ihr plötzlich in mittlerer Mensur fechten, während euer Gegner aus weiter Mensur agieren muss. Das ist beträchtlich!
5. Eine neue Aktion lernen
Spezialangriffe sind was tolles, da sind wir uns sicher alle einig. Und wann ist ein besserer Zeitpunkt, sich eine solche in's Arsenal aufzunehmen, als im neuen Jahr? Die Vorgehensweise dazu ist folgende: Sucht euch eine Aktion aus, die ihr gerne im Freigefecht einsetzen können würdet. Lernt sie technisch korrekt - idealerweise mit eurem Trainer. Das sollte für eine einzelne Aktion nicht allzu lange dauern. Dann gilt: Üben, üben, üben! Lasst ein paar Freigefechte zu Gunsten von Übungsgefechten aus, und sprecht mit eurem Gegner ab, dass er euch bewusst viele Gelegenheiten zur Durchführung eurer Aktion geben soll. Und dann versucht sie möglichst oft anzubringen. Mit der Zeit sollte die Aktion automatischer werden, und irgendwann muss es dann kein Übungsgefecht mehr sein, um sie einzusetzen. Natürlich hilft auch hier, den Trainer regelmäßig über die Durchführung schauen zu lassen - das beschleunigt den Prozess.
Um den Effekt in eine persönliche Geschichte einzubetten: Dieses Ziel habe ich mir einmal für das Coupé aus der Prim in der engen Mensur gesteckt. Nach genügend Wiederholungen ist diese Aktion inzwischen sogar meine Signatur-Riposte, und ich muss nun daran arbeiten, sie nicht zu häufig einzusetzen, um kein einseitiger Fechter zu werden. Spezialaktionen sind ein Albtraum für den Gegner, der noch wenig Erfahrung mit ihnen hat...
6. An einem Gegnermodell arbeiten
Dürfen wir mit unseren Vorsätzen ein bisschen gemein sein? Ach, bestimmt! Und der nächste Punkt ist ein kleines bisschen gemein...
Die Wahrscheinlichkeit ist nicht schlecht, dass ihr einen Fechter kennt, den ihr auf Teufel komm' raus nicht schlagen könnt, obwohl ihr eigentlich der Meinung seid, dass ihr prinzipiell dazu in der Lage sein solltet. Sehr oft ist das Problem, dass der Fechter ein- oder zwei unkonventionelle Taktiken oder Techniken einsetzt, mit denen ihr einfach nicht umgehen könnt. Gerade jetzt, da wir noch nicht physikalisch in den Fechtsaal können, bietet es sich an, diesem Gegner etwas Aufmerksamkeit zu widmen. Das heißt vor allem identifizieren, warum der Gegner schwierig ist, recherchieren, wie wir darauf reagieren könnten, und einen Plan entwickeln, um das Ergebnis umzusetzen. Das ist jetzt kein riesiger, langfristigerer Aufwand - aber muss denn jedes Neujahrsziel ein solches sein? Und wenn wir einen solchen Gegner haben, zeigt uns das doch schon deutlich, woran wir als nächstes arbeiten sollten.
Kleiner Bonus: Durch diesen gemeinen Vorsatz helft ihr sogar eurem Gegner, sofern er wirklich unkonventionelle Techniken oder Taktiken einsetzt. Von dem her ist es gar nicht so gemein wie anfangs angenommen. Diese Situation habe ich übrigens schon mal hier analysiert. Gerne nachschlagen!
7. Ein Generalcheck für die Ausrüstung
Oder wie wär's denn damit, als der Ritter in der schimmernden Rüstung in's neue Jahr zu starten? Ich kenne einige Fechter, die könnten im Alleingang einen kompletten Anfängerkurs ausrüsten. Aber auch der Normalfechter hat mehr als genug Ausrüstung, die nicht immer die Aufmerksamkeit bekommt, die sie benötigt. Zeit, einmal alles auf Sicherheit und Funktion zu überprüfen, die Funktionalität von allen wieder herzustellen (damit auch die Schuhe nicht mehr rutschen), verschlissene Teile zu ersetzen und natürlich die Degen und Florette auf Hochglanz zu polieren. Mein erster Blogartikel befasst sich genau mit diesen Themen.
8. Mit anderen Griffen experimentieren
Dieser Vorschlag bezieht sich explizit auf "gemischte" Schulen, denen die Wahl der Fechtwaffe nicht schon aus Gründen der historischen Korrektheit abgenommen wird. Gerade klassisches Fechten kann mit einer wirklichen Vielfalt an unterschiedlichen Gefäßen glänzen. Und doch wählen viele zu Anfang ihrer Fechtkarriere einen Griff aus, bei dem sie dann durchgängig bleiben. Die Fechtmeister damals haben sich damals gegenseitig überboten, die Vorteile des Waffendesigns ihres Landes hervorzuheben, und gleichzeitig die Nachteile der der anderen aufzuzählen. Natürlich haben sie aus nationalem Prestige in der Regel übertrieben, aber in einem Punkt kann man ihnen nicht widersprechen: Alle Griffe haben ihre eigenen Vor- und Nachteile. Der Italiener preist die Grifffestigkeit durch die Parierstange und Fingerbügel an, während der Franzose von dem durch seinen Griff ermöglichten Spitzen-Feingefühl überzeugt ist. Aber auch spanische und deutsche Gefäße haben ihre eigenen Plus- und Minuspunkte. Warum nicht einfach mal eine andere Waffe in die Hand nehmen und ein paar Gefechte damit führen? Zumindest verstehen wir mit diesen Experimenten besser, auf was wir uns bei einem Gegner mit der entsprechenden Waffe einstellen müssen. Und im besten Fall finden wir sogar einen neuen Favorit...
9. Nicht versuchen, jedes Gefecht zu gewinnen
Moment... was? Ja, dieser Vorschlag ist durchaus ernst gemeint.
Viel zu oft konzentrieren wir uns im Training nur auf Technik-Lektionen oder Freigefechte. Den Sprung der Aktionen vom Technik-Training in's Freigefecht ist aber zu hoch. Entsprechend bleiben wir fechterisch auf einem Niveau. Idealerweise setzt man hier Übungsgefechte an, das sind Freigefechte, bei denen Details abgesprochen sind, um uns möglichst oft die Chance auf die Durchführung einer bestimmten Aktion zu geben. Aber auch Freigefechte können dazu "verwendet" werden, einfach weil sich die Chance zu einem solchen öfter bietet. Der Schlüssel ist, keine Treffer zu zählen, sondern sich ein persönliches Ziel vorzunehmen. Wenn dieses Ziel erreicht wurde, dann war das Gefecht ein Erfolg - unabhängig, ob ich auch nur einen einzigen Treffer gesetzt habe.
Ein Beispiel, das ich oft empfehle, ist, nur noch jeden dritten Angriff zu parieren, und dem Rest durch Schritte rückwärts zu entgehen. Dabei soll man sich darauf konzentrieren, ganz bewusst wahrzunehmen, wohin die Bedrohung des Gegners gerichtet war. Das soll uns vom Reflex-Fechter, der ohne Verstand ficht, zu einem bewussten Fechter formen. Der also wahrnimmt, wo der Angriff tatsächlich hinführt, und sich bewusst für eine, vielleicht auch ungewöhnliche, Parade entscheiden kann. Denn die Parade ist die Vorbereitung zur Riposte, und wenn ich die Parade bewusst wähle, entscheide ich mich auch bewusst für eine Riposte, statt diese Wahl dem Gegner zu überlassen.
Ihr habt die Wahl!
Also, wie wollt ihr euer Potenzial für das Jahr verteilen? Eine längere Reichweite? Ein neuer Angriff? Ein taktisch gefährlicherer Gegner werden? Oder den Gegner schon vor dem Gefecht mit dem blitzendem Degen blenden und direkt ohne Waffengänge siegreich vom Feld ziehen ;-)? Es liegt an euch...
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