Endlich - der Tag der Entscheidung ist da. Seit der Beleidigung vor einigen Tagen haben die Sekundanten ganze Arbeit geleistet: Duellplatz und Bedingungen sind gewählt, Vorbereitungen getroffen und die Duellanten informiert. Heute erleben wir den Tag des Duells aus der Sicht des Beleidigten. Als Waffe haben wir den Degen gewählt, zum einen, weil vor allem die Beschreibung eines Pistolenduells den Rahmen sprengen würde, zum anderen, weil der Degen die uns Passauern am nächsten stehende Waffe ist.
Es ist 16:50, als ihr am besprochenen Ort eintrefft. 10 Minuten vor dem offiziellen Start, denn eine Verspätung kann man keinesfalls riskieren: Länger als 15 Minuten werden die Sekundanten nicht abwarten. Die Sekundanten sind ebenfalls bereits vor Ort, eifrig mit den letzten Vorbereitungen beschäftigt: Die Waffen werden erneut geprüft, gereinigt, desinfiziert und ausgelost, der Kampfplatz abgesteckt. Dein Blick gleitet über den selben: Zwei Linien sind in den Boden gekratzt, die hinteren Begrenzungen des Platzes. Die Sonne scheint seitlich auf den Kampfplatz, so dass keinem Fechter ein Nachteil entsteht. Viel Platz ist nicht zwischen den Markierungen... Nicht, dass das einen Unterschied machen würde, natürlich. Denn nennenswert zurückzuweichen ist ohnehin nicht der Plan. Wer würde sich schon freiwillig dem Vorwurf der Feigheit aussetzen wollen? Die Markierungen sind dennoch wichtig: Sie definieren klar, wann einer der Gegner zu "ängstlich" ist, und eine solche Beobachtung könnte sogar zu einem Abbruch des Duells führen - ohne Ehrenwiederherstellung des Angsthasen, versteht sich. Die Ungarn gehen da gerne einen ganz eigenen Weg und führen Ihre Duelle oft in geschlossenen Räumen aus. Dann löst sich das Problem ganz von allein, denn irgendwann geht's nicht mehr weiter nach hinten.
Zwei Sekundanten holen Dich in den Augenblick zurück, denn sie marschieren geradewegs auf Dich zu. Es ist einer Deiner eigenen Sekundanten und einer der gegnerischen Partei. Die Überprüfung der Kleidung steht an. Deine Sekundanten haben Dich im bereits im Vorfeld darauf vorbereitet. In einer Lederrüstung soll keiner erscheinen: Ein Hemd, dass muss ausreichen. Doch auch dort muss man einiges beachten: Knöpfe oder ähnliche Elemente könnten den entscheidenden Stoß verhindern und dürfen nicht getragen werden. Empfohlen wird ein leichtes Leinen- oder Seidenhemd. Ein Handschuh gehört ebenfalls zum Repertoire, allerdings kein Fechthandschuh mit langen Stulpen, sondern lediglich ein kurzer der die Hand alleine schützt. All das wird von den Sekundanten geprüft. Als Schuhwerk habt ihr leichte Stiefel mit breiten Absätzen gewählt - sie sollten genügend Griff am Boden bieten. Ein Seidenband am Unterarm oder am Hals um die Schlagadern zu schützen gibt es nicht - sie werden im Kodex strikt abgelehnt.
Inzwischen ist auch Dein Gegner auf dem Duellplatz eingetroffen und wird von zwei Sekundanten geprüft. Du hast ihn bisher konsequent ignoriert - jegliche Kommunikation mit dem Gegner wäre zu diesem Zeitpunkt wenig zielführend, ja, sie ist auf dem Kampfplatz sogar untersagt! Aber seine Anwesenheit bedeutet, dass es endlich losgehen kann.
Eure Sekundanten führen euch auf eure Startpositionen am Duellplatz. Diese sind so gewählt, dass sich die gestreckten Waffen der Gegner gerade berühren - zumindest wenn die Sekundanten ihren Job gut gemacht haben. Ansonsten hilft immer, die Fechtstellung nach hinten statt nach vorne zu nehmen. Der älteste der Sekundanten leitet das Duell. Noch bevor euch die Waffen ausgehändigt werden, appelliert er an euch, die Sache doch noch friedlich zu lösen. Du kannst dir ein wehmütiges Lächeln nicht verkneifen... Der Appell ist eine reine Formalie um die Sekundanten vor Gericht zu schützen, denn sie müssen argumentieren können, bis zuletzt eine friedliche Einigung angestrebt zu haben. Eingehen solltet ihr beide besser nicht darauf: Zu diesem Zeitpunkt, nur Sekunden vom Ziehen der Waffe entfernt, würde das euren Mut in Frage stellen und den schleichenden Vorwurf der Feigheit in den Raum stellen. Nein, zu diesem Zeitpunkt kann nur noch das Eisen entscheiden!
Der Gefechtsleiter fährt fort und ermahnt euch zur Einhaltung der ausgehandelten Regeln. Auch die Kommandos werden noch einmal genannt, und - ah, jetzt erfahrt ihr auch, auf welches Maß sich die Sekundanten geeinigt haben! Aufs erste Blut soll es also gehen. Auch die Waffe wird euch nun gereicht. In der Theorie seht ihr auch diese nun zum ersten mal - praktisch ist es jedoch so, dass die Vielfalt der Fechtwaffen seit dem Ende der Rapierzeit weiter und weiter geschrumpft ist, und dass ihr (jetzt zum Ende des 19. Jh.) bereits im Vorfeld recht genau wusstet, wie eure Degen aussehen würden. Sie sind vollkommen gleich, besitzen eine fürs erste Blut typische, große Glocke ohne Zierde. Denn plastische Verzierungen, insbesondere kleine Löcher im Handschutz, könnten die Spitze des Gegners fangen - dies ist zu vermeiden. Die Klingen sind zweischneidig und zwar spitz, aber auch ganz bewusst an den Schneiden abgestumpft. Dreikantklingen sind in Deutschland generell verboten.
Die Sekundanten stellen sich zu eurer Linken. Dabei steht euch euer eigener Sekundant am nächsten. Etwas weiter zum Gegner hin, aber auf der selben Seite, befindet sich ein Sekundant der Gegenpartei. Auf der Außenseite befinden sich keine Sekundanten, denn diese könnten die Duellanten im Gefecht behindern. Sie sind mit festen Stöcken ausgestattet, bereit, bei einer beobachteten Verwundung oder Verletzung der Duellregeln mit diesen dazwischenzufahren und das Gefecht sofort zu unterbrechen. Keine ungefährliche Aufgabe, aber eine, die eure Sekundanten zu eurem Schutz sogar unter Einsatz ihres eigenen Lebens durchführen müssen. In der Vergangenheit wurden statt Stöcken auch gerne stumpfe Degen verwendet, die Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass noch mehr spitze Gegenstände das Potential für Unfälle einfach zu stark erhöhen.
Der leitende Sekundant gibt das Kommando: "Meine Herren, Achtung auf mein Kommando" - "En garde" - "Allez!".
Jetzt wird sich zeigen, ob die Vorbereitungen gut waren! Ob die Fechtstunden, seien sie nun viele oder wenige, oder nur ein oder zwei hastige Lektionen am Vorabend mit dem Fechtmeister genügt haben. Jetzt, im Gefecht, dürfen beide Duellanten nach eigenem Ermessen angreifen und sich verteidigen. Dennoch sind ihnen Grenzen gesetzt: Erlaubt sind im Degen nur Stöße - selbst Hiebe mit der flachen Seite der Klinge können zum vorzeitigen Beenden des Duells führen. Wirklich gesellschaftlich akzeptiert sind nur Stöße gegen den Oberkörper, Stöße auf den Kopf oder unter der Gürtellinie werden zwar nicht explizit verboten, jedoch sogar im Kodex als ehrlos angesehen. Will man seinen guten Ruf wahren - und darum geht es ja - sollte man sie vermeiden. Der Arm als Trefffläche wird im Degen nicht explizit erwähnt, dürfte beim Duell aufs erste Blut jedoch selbstverständlich sein. Die linke Hand darf nicht eingesetzt werden. Zwingt sie der Instinkt dennoch nach vorne, so können die Sekundanten sogar verlangen, dass sie fixiert, sprich angebunden, werde. Und es dürfte sich von selbst verstehen, dass das Greifen nach dem Gegner streng verboten ist.
Aber auch das ungestüme Anlaufen oder Anrennen des Gegners muss vermieden werden. Es ist ebenso verpönt wie das ständige Zurückweichen und zeugt von mangelnder Selbstbeherrschung. In beiden Fällen folgt eine Verwarnung, bei Wiederholung wird das Duell beendet.
Ein "Halt" unterbricht das Gefecht. Eine Bindung in Terz mit einer spiralförmigen, schnellen Übertragung in die Demi-Cercle hat Deinen Gegner entwaffnet. Sofort fahren die Sekundanten mit ihren Stöcken dazwischen. Der Kodex verbietet einen Stoß auf einen unbewaffneten Gegner. Ebenso hätten die Sekundanten das Gefecht wegen einem Klingenbruch, beobachteter Ermüdung eines Gegners, dessen Sturz oder aufgrund eines Corps-a-Corps unterbrechen können, weil Blut in den Augen die Sicht verwehrt oder irgend eine andere Ablenkung erkannt wurde. In der aktuellen Situation holt der Sekundant lediglich die verlorene Waffe wieder, reicht sie Deinem Gegner und der Kampf beginnt von neuem.
Lange dauert es nicht und die Entscheidung bahnt sich an. So ein Duell dauert nun einmal länger als die freundlichen Assauts im Fechtsaal, und es scheint als würde der Arm deines Gegners allmählich etwas schwer. Die Angriffe auf die Innenseite kommen stets etwas tief... Und beim nächsten Stoß Deines Gegners parierst Du nicht etwa, nein, du streckst den Arm, ziehst das vordere Bein an das hintere, und triffst Deinen Gegner mit einem Musterbeispiel eines Rassemblements am Unterarm! Sofort ertönt das "Halt" der Sekundanten.
Du nimmst einen Schritt zurück, den Arm noch immer gestreckt, die Waffe noch immer in Linie. Eine Vorsichtsmaßnahme, denn nur weil der Sekundant den Kampf unterbricht bedeutet das nicht, dass Dein Gegner nicht in blindem Zorn andere Ziele verfolgt. Erst als ein Sekundant zwischen DIr und Deinem Gegner steht, senkst Du die Spitze.
Der Arzt prüft die Verletzung und berät die Sekundanten. Ob die Verletzung ausreicht um das Duell zu beenden entscheiden beide zusammen. Doch die Entscheidung fällt schnell: Das erste Blut ist geflossen, und man kann die Wunde nicht mit einem Mückenstich verwechseln - das Duell ist vorbei! Erleichterung macht sich breit - sicherlich auch bei Deinem Gegner. Es hätte auch ganz anders verlaufen können... [2] Ob jetzt eine Aussöhnung stattfindet, ob man sich die Hände gibt oder ob es bei einem höflichen Gruß zum Abschied bleibt - das bleibt nun dem Feingefühl der beiden Kontrahenten überlassen. Die davon nun hoffentlich mehr an den Tag legen als zu dem Zeitpunkt, an dem ein dummer Wortwechsel die Eisen überhaupt auf den Plan rief.
Quellen:
Gustav Hergsells "Duell-Codex", 1897, 2. Auflage.
Unsere Geschichte geht glimpflich zu Ende. Das hätte auch ganz anders laufen können. Wer nach diesem Artikel Lust verspürt, selbst ein scharfes Duell auszufechten, der kann sich hier hier wieder zur Vernunft bringen lassen: The Dubious Quick Kill behandelt Verwundungen durch Rapiere und Degen tiefgehend und mit historischen Beispielen.
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