top of page
AutorenbildChristian Olbrich

Welchen Degen sollte ich wählen?

Meistens ist vor der Fechtstunde viel zu wenig Zeit, auf all die Vor- und Nachteile der verschiedenen Fechtwaffen einzugehen, wenn sich ein Fechtschüler für eine neue Waffe interessiert. Und wenn sich ein externer Fechter bei uns meldet, würde ich ihm am liebsten einen eigenen, kleinen Blogartikel zurückschreiben. Also warum nicht gleich einen bereitstellen, für alle, die in Zukunft nach einer eigenen Waffe suchen? Im Folgenden schauen wir uns ausgesuchte Modelle genauer an, und an ihnen besprechen wir beispielhaft, worauf man bei der Suche nach dem eigenen Degen oder Florett achten kann und soll.


Historisch oder Gemischt?


Bevor ich eine Waffe einem Fechter außerhalb unseres Vereins empfehle, ist meine erste Frage eigentlich immer: "Welche Schule fechtet ihr?". Wenn eure Fechtschule sich einer bestimmten Schule oder einem bestimmten Meister verschrieben hat, dann ist die erste Regel, dass die Waffe zu diesem System passen muss. Als italienischer Fechter brauche ich nicht mit einem Hofdegen anzufangen, und in der französischen Hofdegentradition brauche ich nicht mit einem italienischen Glockendegen aufzukreuzen. Alberto Cougnet verdeutlicht das, indem er die Grundsätze der französischen und der italienischen Fechtkunst allein aus dem unterschiedlichen Aufbau der Fechtwaffe ableitet.


Im weiteren gehe ich davon aus, dass ein gemischter Stil verwendet wird.


Welche Klinge?


Die zweite, fundamentale Frage ist, ob es ein Degen oder ein Florett werden soll. Der Unterschied liegt dabei allein in der Klingenform: Die Florettklinge ist vierkantig, leichter und biegsamer. Mit ihr lässt es sich komfortabler fechten und auch die Treffer kommen weicher auf. Sie war schon immer eine Übungsklinge. Ihre Nachteile sind, dass Klingenschläge einen geringeren Effekt haben und Armtreffer kaum arretieren. Wer so trainieren will, wie die Fechter vor 1880 trainierten, der sollte sich in jedem Fall für diese Klinge entscheiden. Die Degenklinge ist dreikantig, schwerer und steifer. Sie ist näher an der Klinge fürs Duell, und wenn ich dieses simulieren will, dann sollte ich mich für diese Klinge entscheiden. Durch ihre Starrheit haben Klingenschläge einen besseren Effekt und die Spitze arretiert besser auf dem Arm. Die Nachteile sind, dass sie den Fechter schneller ermüden und die Klingen meiner Erfahrung nach der Materialermüdung wegen auch weniger lange halten. Alle Gefäße können sowohl mit Florett- als auch mit Degenklingen ausgestattet werden.


Dann schauen wir uns mal ein paar Waffen an...


Hofdegen, Fingerbügel, Parierstange

Duelldegen "Goethe"
Duelldegen "Goethe"

Den Hofdegen vergleiche ich gerne mit dem Taschenmesser. Was ich damit meine, ist, dass er alltagstauglich war: Wer würde heute mit einer Machete durch die Straßen laufen? Niemand - viel zu wuchtig, zu unpraktikabel. So ähnlich verhielt es sich mit dem Hofdegen: Er musste nicht mehr nur den Zweck der Waffe erfüllen, er musste auch in den engen Gassen komfortabel tragbar sein, und dabei natürlich noch gut aussehen. Entsprechend bietet er in der Regel nicht die besten Optionen in Sachen Handschutz - besticht dafür optisch.


Bei diesem Modell kann man den Abstand zwischen Parierstange und Glocke hervorheben: Ist der Platz gering, verhindert das, dass der Zeigefinger durch den Fingerbügel gesteckt werden kann. Damit muss man die Waffe zwangsläufig "französisch" halten und auf die Möglichkeit von Hieben verzichten. Als nächstes sehen wir uns die Parierstangen an: Sie stehen leicht über die Glocke hinaus. Lange Parierstangen vereinfachen manche Aktionen (z.B. Gleitstöße) und erschweren andere (z.B. Übertragungen). Generell kann man sagen, dass lange Parierstangen die Klingenbewegungen größer und damit langsamer machen - sowohl für sich selbst als auch für den Gegner.


Faustbügel, Verzierungen

Hofdegen "Rokoko" 1760
Hofdegen "Rokoko" 1760

Ins Auge sticht zunächst einmal der zusätzliche Faustbügel. Er ist ein Relikt aus dem Hiebfechten: Bei der Parade in Prim schützt er die Faust. Wenn man auch Hiebe mit dem Degen setzen möchte, ist ein Faustbügel sinnvoll. Auch bei Hofdegen, die nur zum Stoß gedacht (und aufgrund der Klingenform manchmal auch nur dazu geeignet) sind, waren manchmal Faustbügel angebracht - schlicht aus optischen Gründen. Hervorzuheben sind auch die reichen Verzierungen. Hier muss man etwas Acht geben, dass die Verzierung nicht die Fechttauglichkeit beeinträchtigt: Die Prägungen und Ausbuchtungen können unangenehm in der Hand zu spüren sein, und die Fortführung der Fingerbügel, die sich nach innen "kringeln", verhindern, dass der Zeigefinger zum Hieb durchgesteckt werden kann.


Hofdegen mit Praxisfokus

Duelldegen 1700
Duelldegen 1700

Fehlt der Faustbügel, dann war der Fokus oft etwas mehr beim Duell als bei den anderen Hofdegenmodellen. Der "Duelldegen 1700" ist ein Paradebeispiel dafür: Hiebe wurden bei diesem Modell konventionell ausgeschlossen, das große Stichblatt bietet überdurchschnittlichen Schutz und die Fingerbügel erlauben die Verwendung auch mit einem Fechthandschuh.


Selbstverständlich gab es auch das krasse Gegenstück dazu: Modelle wie der "Galadegen" haben z.B. ein filigran durchbrochenes Stichblatt - elegant, leicht, aber für das Freigefecht nur bedingt einsetzbar. Wir empfehlen Modelle wie diese nur zu Lektionen oder zum szenischen Fechten einzusetzen.


Spätere französische Waffen

Spätestens ab ca. 1800 hat sich die französische Fechtweise soweit vom Ernstfall entfernt, dass man das auch in den Fechtwaffen nachvollziehen kann. Das französische Florett besitzt nun keine Parierstange mehr, behält jedoch ihr charakteristisch kleines Stichblatt. Diese Waffe ist klassischen Florettfechtern zu empfehlen, die auch ganz explizit die Florettfechtweise der damaligen Zeit trainieren wollen. Im Prinzip sind wir hier bei einer Frühform des modernen Fechtsport angelangt.


Das Modell mit der großen Glocke ist tatsächlich die direkte Gegenreaktion dazu. Ca. 1880 erkennen die Franzosen, dass ihre Florettfechtweise für das Duell nicht mehr taugt, und entwickeln daraufhin eine neue Waffe samt Fechtweise. Inzwischen hat sich das Duell aufs "erste Blut" etabliert, weswegen der Arm und die Hand eines besseren Schutzes bedarf - daher die größere Glocke. Diese Waffe wurde sowohl im Training als auch im Ernstfall ausschließlich mit einer Degenklinge genutzt.


Bei beiden Modellen ist die Haltung am einfachsten zu erlernen, aber vielleicht am schwierigsten zu perfektionieren - es verlangt ein perfektes Fingerspitzengefühl, und die Waffe wird auch in erster Linie mit den Fingern gesteuert. Den historischen Kontext einmal ausgeklammert, empfehlen wir meist nur die Variante mit großer Glocke und zwar Fechtern, die besonderen Wert auf den Schutz der Hand legen.


Italiener ab 1800

Italienisches Florett
Italienisches Florett

Der Italiener hat einen vergleichsweise guten Handschutz. Er besitzt zwar eine Parierstange, diese steht jedoch praktisch kaum über der Glocke hinaus und stört damit nicht bei Übertragungen und Klingenwechseln. Als Hauptvorteil der Waffe wird damals angegeben, dass der feste Griff der Waffe kaum Entwaffnungen zulässt - ein Vorteil zu den Franzosen, die leicht aus der Hand geschleudert werden können. Dank der Parierstange und den Fingerbügeln hat man auch eine Schneidenführung, könnte theoretisch also auch Hiebe setzen - auch wenn das mit dieser Waffe in der Praxis ab 1800 eigentlich nicht mehr gemacht wurde. Die Haltung der Waffe ist zu Beginn recht ungewohnt, einmal gelernt verschmilzt der Griff aber fast mit der Hand.

Spanischer Hofdegen

Spanischer Glockendegen Rokoko 1750
Spanischer Glockendegen Rokoko 1750

Die südlichen Länder bevorzugten in der Regel das Rapier, und Spanien war da keine Ausnahme. Sollte es trotzdem ein eleganter Hofdegen statt eines wuchtigen Rapiers sein, dann kombinierte man gerne die beiden Modelle. Heraus kommt ein Hofdegen mit einem guten Handschutz. Es verschiebt den Kompromiss des Hofdegens wieder ein wenig zurück in Richtung Praxistauglichkeit.


Daneben gelten die selben Überlegungen, die einen schon bei der Wahl eines Hofdegens leiten sollte. Enge Fingerbügel erzwingen ein Führen der Waffe ausschließlich auf Stoß nach französischem Vorbild, weitere Bügel erlauben auch den Hieb.


Welche Waffe wird es also?


Die Wahl der Waffe ist eine sehr individuelle Frage. Mit den Modellen oben dürften wir einmal alle wichtigen Merkmale durchgesprochen haben: Glockengröße und -form, Parierstange, Fingerbügel, Faustbügel, Verzierungen und natürlich die verschiedenen nationalen Vor- und Nachteile. Am besten ist es, eine Vorauswahl zu treffen und dann einzelne Modelle vor dem Kauf in die Hand zu nehmen. Nicht jede Hand ist gleich, und nicht jede Waffe fühlt sich für jeden Fechter gut an. Aber mit ein wenig Vorüberlegung... bekommt man eine Waffe, die einem ein Leben lang Freude macht!

Comentarios


bottom of page