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Barbasettis Fechtstellung und der Patinando

Aktualisiert: 29. Juni 2022

Capitano Settimo Del Frate schreibt 1868 über die Fechtstellung: "Für die Position der Fechtstellung, bezogen auf den Körper, hat jede Schule, jedes System, jeder Meister die selbe Position gewählt". Diese Beobachtung ist sicher eine Aussage für sich, die für die Effizienz der Fechtstellung spricht. Doch sie trifft nur für die groben Züge der Fechtstellung zu - die Details variierten tatsächlich viel und oft!

Luigi Barbasetti in Fechstellung mit Florett
Die Fechtstellung nach Luigi Barbasetti

In dieser Hinsicht möchte ich euch heute Barbasettis Modifikation der "klassisch" italienischen Fechtstellung vorstellen. Zur Erinnerung: Der Italiener steht in einer tiefen, weiten Fechtstellung, das Gleichgewicht mittig, der Oberkörper senkrecht, der Waffenarm komplett oder fast komplett gestreckt, und der hintere Arm nach oben gewinkelt. Die Theorie hinter dieser Stellung, besonders hinter der Verteilung des Gewichts und des geraden Oberkörpers, ist, dass man aus dieser Auslage am mobilsten sei, und man sich sowohl schnell zurückziehen, als auch auf den Gegner zubewegen kann.


Barbasetti jedoch weicht von diesem Ideal ab, und modifiziert seine Fechtstellung wie folgt:

Die Fechtstellung ist dann richtig, wenn das linke Knie lothrecht über der linken Fussspitze, das rechte Knie lothrecht über der rechten Ferse steht; wenn ferner die Beine unter einem Winkel von 120 Grad im Knie gebeugt sind, der Oberkörper sich ein wenig vorgeneigt hat, die Schultern in einer Horizontallinie mit der Waffe sich befinden; wenn ferner das Körpergewicht hauptsächlich auf dem linken Beine lastet, so dass das rechte sich beim Vorschreiten oder beim Ausfalle leicht bewegen kann; wenn das Kreuz hohl ist, Schultern und Bauch zurückgezogen sind und der Körper im Profil steht.

Die Verlagerung des Schwerpunkts


Schauen wir uns zunächst Barbasettis Forderung an, das Körpergewicht müsse hauptsächlich auf dem linken, also dem hinteren, Bein lasten. Einen kleinen Hinweis auf den Grund dieser Modifikation gibt er uns bereits im zitierten Text, nämlich, dass dadurch der Schritt vorwärts und der Ausfall leichter durchführbar wären. Die Argumentation über den Ausfall kann, je nachdem, wie der Ausfall vom Ablauf aufgefasst wird Sinn ergeben oder nicht, ich persönlich (und Fechtmeister, mit denen ich dieses Detail diskutiert habe) teilen diese Auffassung allerdings nicht. Hier muss man aber etwas nachsichtig sein - Fehleinschätzungen dieser Art sind in den damaligen Texten recht häufig anzutreffen. Konzentrieren wir uns daher auf den Schritt vorwärts. Hier ist es wichtig zu wissen, dass dieser auf zwei verschiedene Arten durchgeführt werden kann.


Der "klassische" Schritt vorwärts: 1. Zeit: Der vordere Fuß wird eine Schrittlänge nach vorne gesetzt 2. Zeit: Der Schwerpunkt verlagert sich auf den vorderen Fuß, der hintere Fuß wird nachgesetzt


Der "moderne" Schritt vorwärts:

1. Zeit: Der hintere Fuß drückt den Körper, und damit auch den Schwerpunkt nach vorne, der vordere Fuß wird eine Schrittlänge vorgesetzt 2. Zeit: Der hintere Fuß wird nachgesetzt


Der klassische Schritt vorwärts ist sicherer, da er länger unterbrechbar bleibt, und potentiell unauffälliger ist. Der moderne Schritt ist dagegen schneller. Da das Fechten heute wesentlich mobiler und mit höherer Geschwindigkeit durchgeführt wird, verwendet man - bewusst oder unbewusst - meist die zweite Variante.


Da Barbasetti den klassischen Schritt vorwärts nutzt, macht es Sinn, den vorderen Fuß "frei" zu halten, indem man den Schwerpunkt leicht nach hinten verlagert. Eine gleichmäßige Fechtstellung würde es notwendig machen, den Schwerpunkt zunächst auf das hintere Bein zu verlagern, was den Schritt insgesamt sichtbarer und langsamer machen würde. Aber - den Zeitpunkt der Entstehung des modernen Schrittes außer Acht gelassen - warum macht im klassischen Kontext der klassische Schritt vorwärts mehr Sinn als seine moderne Variante?


Barbasetti möchte seinen Gegner aus der weiten Mensur überraschen. Würde er beim Schritt vor-Ausfall den modernen Schritt verwenden, dann würde sein Gegner von seinem Angriff im ersten Moment erfahren - dem verlagern des Körpers nach vorne. Dann benötigt er zwei weitere Bewegungen, nämlich das Nachsetzen des Standbeins und dem Ausfall, um zu treffen. Nutzt er dagegen den klassischen Schritt, übersieht sein Gegner mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit das unauffällige Vorsetzen des Ausfallbeins, und bemerkt das Vorrücken erst, wenn das hintere Bein nachsetzt. Danach benötigt Barbasetti lediglich den Ausfall, um zu treffen. Auch wenn der klassische Schritt vorwärts insgesamt langsamer ist, hat der Gegner weniger Zeit, um auf ihn zu reagieren. Diese Technik kennt man auch heute noch, und zwar heute wie damals unter dem Begriff "Patinando" bzw. "Pattinando". Aber auch aus taktisch / historischen Gründen machte der klassische Schritt vorwärts Sinn. Vom Standpunkt des Duells ist ein Schritt vorwärts immer riskant - Sicherheit steht hier an erster Stelle. Diese Überlegung zog sich auch noch in das damalige Florett-Verständnis. Der Schritt vorwärts beim Schritt vor-Ausfall wurde dort in der Regel als Vorbereitung gesehen, und war somit dem gefährlichen Gegenangriff des Gegners ausgesetzt. Auch deswegen galt: Den Schritt lieber etwas langsamer, dafür sicherer und im richtigen Moment überraschend.


Und der vorgebeugte Oberkörper?


Während Barbasetti den Grund für die Verlagerung des Schwerpunkts in seiner Auslage gut beschreibt, gibt er uns leider keinen Hinweis darauf, warum er den Oberkörper etwas nach vorne nimmt. Hier kommt uns ein Kollege Barbasetti's, nämlich Primo Tiboldi, zur Hilfe.


Er empfiehlt, die Flanke so weit als möglich zurückzunehmen, da dies die Trefffläche in der Flanke bis zu 5 cm weiter von der gegnerischen Spitze entfernt. Für die italienische Schule, die ihre Technik und Taktik auf der Entfernung der Degenspitzen zur Trefffläche aufbaut, ist das signifikant.


Zusammenfassung


Auch wenn die Modifikationen auf den ersten Blick unpraktisch erscheinen, können sie bei genauerer Betrachtung durchaus zu Gunsten des Fechters ins Gewicht fallen. Die Verlagerung des Gewichts nach hinten ermöglicht den Schritt vor-Ausfall als Patinando, einer besonders schnellen und überraschenden Beinarbeitskombination. Der vorgebeugte Oberkörper dient dem Entziehen der unteren Trefffläche. In jedem Falle zeigt sich, wie selbst kleinste Änderungen und Anpassungen im Fechten eine echte Wirkung im Gefecht erzielen können.


 

Quellen:

Del Frate äußert in "Istruzione per maneggio e scherma della sciabola" die Ansicht, dass jede Schule die gleiche Fechtstellung nutzt, da diese die Vorteilhafteste sei.


Barbasetti beschreibt seine Schule in "Das Stossfechten", 1900.


Primo Tiboldi erwähnt den Grund für die retirierte Flanke in "La scherma di fioretto", 1905.

Walter Green erwähnt in seinem Podcast zum Aufbau der klassischen Fechtbahn (2021) den Schritt vor im Schritt vor-Ausfall als Vorbereitungsaktion im klassischen Florett.


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